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Das Parfüm
#49
Mal eine Rezension aus einem anderen Forum. Smile

Noch zieht Tykwers Film in mir seine Bahnen und ich kann nicht divergieren zwischen meinem kritisch-analytischen Blickwinkel und meinem emotional-ästhetischen Empfinden. Im ersten Fall müsste ich leidvoll zugeben, dass "Das Parfum" vielleicht zu oberflächlich, in der Charakterzeichnung nicht weit genug und in seiner Anwendung von Symbolik vielleicht ein wenig überfrachtet geraten ist.
Höre ich jedoch auf mein reines Empfinden muss ich "Das Parfum" als makelloses Meisterwerk bezeichnen. Furios ausgestattet, episch erzählt, meisterhaft montiert und visuell bahnbrechend (wahrscheinlich einer der besten Kameraarbeiten aller Zeiten).

Vielleicht ist es ja auch gerade das, was die Venedig-Kritiker so erzürnt hat: "Das Parfum" ist fast schon zu perfekt, zu durchdacht, zu ausgewogen in der Balance zwischen Abdeckung von Masseninteresse (die der Film absolut erfüllt) und künstlerisch-motivierter Tiefgründigkeit. Man könnte (aber nur wenn man böse ist) "Das Parfum" als einen sehr gefälligen Filme bezeichnen. Vielleicht könnte man sogar soweit gehen ihn als Hollywood-Film aus Europa zu bezeichnen. Und auch der Vorwurf, "Das Parfum" sei ergebnislos um Tiefe bemüht, scheint angesichts der Inszenierung nicht unberechtigt.

Aber andererseits lassen sich all jene Vorwürfe auch in ihr Gegenteil verkehren: Mir hat es hochgradig zugesagt, dass Tykwer nicht den Fehler beging und "Das Parfum" als gediegen erzähltes Historienstück inszenierte sondern versucht hat mit allen Mitteln der modernen Erzähltechnik ein nachempfindbares Gefühl für jene vergangene Epoche zu kreiren.

Ebenso positiv empfand ich die Bemühungen den Stoff nicht in den typisch-gering-messbaren Maßstäben europäischer 08/15-Produktionen zu adaptieren, sondern ihn in amerikanischen Maßstäben in Szene zu setzen. So wirkt "Das Parfum" nicht nur wie ein Big-Budget-Film, er fühlt sich fast genauso an und fügt dem Ganzen dennoch die nötige Spur an europäischem Arthaus-Anspruch bei, ohne dabei ein auf Unterhaltung pochendes Publikum verstören zu wollen. Man mag das vielleicht gemeinhin als gefällig bezeichnen, aber vielleicht ist es eben nur eine bessere Möglichkeit große Geschichten für ein großes Publikum zu erzählen.

Die Effekte, die "Aha"-Erlebnisse in "Das Parfum" sind wahrlich nicht gerade spärlich, aber sie haben immer ihre Berechtigung, sie fügen sich als minitiöse Striche in ein geradezu berauschend ästhetisches Gemälde unvergleichlicher Schönheit ein. Tom Tykwer und Kameramann Frank Griebe ist vor allem ein Film gelungen, dessen Einzelbilder sich wohl mühelos als Ölgemälde in Kunstgallerien des Barock ausstellen ließen. Sehr viele Bilder im "Parfum" wirken so irreal berauschend weil sie von solch monumentaler Wucht, von so ästhetisch durchdachter Komposition und Lichtsetzung bestimmt sind. Tykwer und Griebe vorzuwerfen diese Herangehensweise bewirke Pathos, ist so als würde man David Lean, Anthony Minghella oder gar Sergio Leone des gleichen Verbrechens schuldig machen. Denn ähnlich wie jene drei großen Erzähler epischen und großformatigen Kinos weiß anscheinend auch Tykwer unter der Wucht seiner Bilder nicht unterzugehen. Er scheint vor allen Dingen die Geschichte, die er zu erzählen hat, nicht zu vergessen, was wohl am ehesten Verdienst seiner subtilen und unaufdringlichen Schauspielführung ist, der es gelingt das zurückgenommene Maß seiner Akteure reduziert zu dosieren, so dass sich die Schauspieler primär in einem Regisseurs-Film denn als Darsteller in einem Schauspieler-Film bewegen. Das ist es auch, was so konsequent und dicht den Kern des existenzialischen Grundgedankens dieses Stoffes frei legt, den weniger Ben Wishaw in seinem Spiel als Grenoille als viel mehr Tykwer mit Hilfe seiner Inszenierung gelingt frei zu legen. Und im Grunde (auch wenn ich das Buch leider nur zu Hälfte gelesen habe) ist doch gerade die Faszination an Patrick Süskinds Bestseller mehr noch die Welt, in der sich Grenoille bewegt als die Figur selbst, die nur Abbild ihrer ist. Tykwer scheint gerade das begriffen zu haben.

Aber natürlich ist "Das Parfum" eben auch die Geschichte eines Mörders, wie der Untetitel andeutet und schon ähnlich wie es Jonathan Demme mit Anthony Hopkins in "Das Schweigen der Lämmer", Alfred Hitchcock mit Anthony Perkins in"Psycho", Martin Scorsese mit Robert DeNiro in "Taxi Driver" oder Steven Spielberg mit Ralph Fiennes in "Schindlers Liste" gelang, entpuppt sich die Besetzung eines absolut unbekannten Darstellers als perfekte Entscheidung um das (salopp gesagt) "Böse" ein anonymes und damit glaubwürdiges Gesicht zu verleihen. Ben Wishaw macht nicht den Fehler seine Rolle, seine Perversion im Spiel reflektieren zu wollen. In ihm sehen wir vor allen Dingen ein ebenbürtiges Gesicht, dass mit einem ähnlich existenzialischen Dilemma zu kämpfen hat, wie es im Film ebenso ein Held tun könnte.
Wirkten Darsteller wie Sean Connery in einem Eichinger-Film wie "Der Name der Rose" oder Winona Ryder in "Das Geisterhaus" noch wie Stars, die man mühevoll versucht hat in ein auf international getrimmtes Werk einzuspinnen um das notwendige englischsprachige Publikum in die Kinos zu locken erweisen sich Dustin Hoffmann und Alan Rickman, anders als ihre Vorgänger, als alles andere als deplaziert.
Hoffmann gibt seiner Rolle wieder den angenehm zurückgenommenen Touch des tragischen Versagers, den er seit "Die Reifeprüfung" so unnachahmlich etabliert hat und Alan Rickman beweist mit seiner gewohnt distanzierten Unnahbarkeit, wie ein regloses Gesicht zu sprechen in der Lage ist.
Schauspielerinnen bleiben jedoch nur auf ihren Nutzwert reduziert. Sie sind zwar wunderschön anzusehen, aber ihr Spiel beschränkt sich allenfalls auf Schreien, Nackt-und Schön-sein und...na ja...Schreien. Auch hier könnte man wieder so weit gehen und das als Schwäche der Figurenzeichnung ansehen. Bei einem Potrait über einen Mörder, der Frauen jedoch als nichts anderes als Versuchskörper seiner Duft-Kreation betrachtet, macht es meiner Meinung nach jedoch Sinn, dass sie dermaßen wenig Innenleben haben und auf ihren nackten Körper beschränkt bleiben. Letztlich sind es ja gerade die Frauen, die in ihrer Nacktheit fleischliche Wolllust verkörpern, derer Grenoille zwar habhaft, deren Herz er jedoch nicht gewinnen kann. Die Schönheit wird für ihn zu einem Ästhetikum, dass er wissenschaftlich komprimieren will und die er dennoch nicht begreift weil gerade Schönheit, Obsession und Verlangen auch immer etwas mit Unnahbarkeit zu tun hat. Grenoille ist ein Opfer seiner Gabe weil er nicht die nötigen intelektuellen Fähigkeiten besitzt sie zu begreifen.

Aber ich merke schon, dass meine Schreib- und Interpretationswut wahrscheinlich auf nichts anderes hindeutet, als meine Angst davor dem Film eine letztendliche Wertung zu geben. Während des Films dachte ich nämlich schon an eine 10, danach hielt sich die 10 und verflüchtigte sich dann vor ein paar Stunden zu einer 8 um jetzt zu einer...na gut...einer 9 (!) zu werden.
Denn wischen wir mal all die störende Kritik meines Verstandes weg: Es gab in jüngster Vergangenheit kaum einen Film, der mich emotional vergleichbar ekstatisch überwältigt hat, ohne dabei den hohlen Ästhetizismus vor sich her zu tragen(wie zuletzt bei "2046"). "Das Parfum" ist zweifellos der "größte" (damit meine ich die erzählerische Bandbreite) Film eines deutschen Regisseurs seit "Das Boot" und einer der besten Hollywood-Produktionen, die nicht aus Hollywood stammen.

9/10
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