von Rotaermel » Sa 04.Dez.2010 12:07
Hier mal mein Gesamteindruck, ohne gezielt auf einzelne Geschichten einzugehen:
Wenn die Sammlung jetzt von einem mir unbekannten Autor wäre, würde ich sagen "Das war jetzt doch mal wieder ein ganz nettes Buch.", aber auch nicht mehr.
Dafür, dass King auf dem Deckel steht, hätte ich aber deutlich mehr erwartet. Das heißt, eigentlich nicht - wenn man realistisch ist und sich die Romane der letzten Jahre anschaut, also Love oder Duma Key, merkt man, dass King einfach nicht mehr so einfallsreich und bissig schreibt wie früher. "Zwischen Nacht und Dunkel" (meine Güte, was ein blöder Titel) fügt sich leider in dieses Gesamtbild ein. Für sich betrachtet ist die Sammlung nicht schlecht - jede der Novellen ist solide, also nach den Regeln der schriftstellerischen Zunft zufriedenstellend aufgebaut.
Aber wenn man einmal an frühere Kingnovellen zurückdenkt, wie z.B. das für mich unübertroffene "Langoliers" oder praktisch alles aus den "Jahreszeiten", dann kann man über "Zwischen Nacht und Dunkel" nur müde lächeln. Weder vom Schreibstil noch vom Ideenreichtum kann da eine Novelle mit ihren Vorgängern mithalten - was, beispielsweise, ist an der Idee, dass eine junge Frau vergewaltigt wird und sich dann (in nebenbei bemerkt völlig unrealistischer und fast film-peinlicher Manier) an ihrem Täter rächt, denn besonders spannend oder innovativ? Natürlich ist die Vorstellung, vergewaltigt zu werden, reiner Horror und diesem Genre wird King ja auch zuregerchnet. Aber neben dem grandiosen Szenario, mit einem Passagierflugzeug, welches anstatt mit Stereotypen mit wirklich interessanten Charakteren gefüllt ist, durch einen Zeitriß in eine andere Dimension zu gelangen, wo eine sterbende Welt von kleinen Pelzmonstern aufgefressen wird, ist eine Vergewaltigung am Wegesrand doch kalter Kaffee!
Insgesamt gesagt glaube ich, dass man als Kingfan mehr Spaß hat, wenn man mal wieder ein altes Werk des Meisters in die Hand nimmt, als wenn man sich mit jedem weiteren Buch aufs Neue enttäuschen lässt.