Bei der Vielzahl an Büchern die Stephen King seit der Mitte der siebziger Jahre veröffentlicht hat, müsste es schwer sein einen Höhepunkt auszuwählen und diesen als Meisterwerk zu küren. "Christine", dass in den "Stephen-King-Foren" im Internet eher als durschnittlich charakterisiert wird, stellt aber ein dermaßen faszinierendes, spannendes, unterhaltsames und gut geschriebenes Werk dar, dass die Wertung "ausgezeichnet" dem ganzen eigentlich nicht mehr gerecht wird. Das ist sicher subjektiv und solche hoch gegriffene Meinungen stoßen auch oft auf Enttäuschung (nicht zuletzt deswegen, weil Konsumstrategen und Marketingexperten alles als toll und schön und super angepreisen), aber "Christine" ist schlichtweg fantastisch (auch wenn der Autor diesem Roman heute kritisch gegenübersteht). Es handelt sich hierbei um keine Horrorerzählung im klassichen Sinne, sondern eher um eine Beziehungsstory zwischen zwei Personen (Mann und Frau), wobei eine dritte Person (ein Freund) als Außenstehender theoretisch mit in das Verhältnis zu integrieren ist. Die Beziehung ist eine Jugenliebe, weshalb "Christine" erst recht für Menschen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren geeignet ist. Nicht zuletzt deswegen, weil eine Identifikation mit dem Protagonisten Arnie leicht fällt, denn er hat Schwierigkeiten wie jeder Junge im Schulleben. Gewalt, Elternkonflikte und mangelhaftes Selbstbewusstsein kennzeichnen seinen Alltag, nur der oben genannte Freund (Dennis) hält zu ihm. Als Arnie dann Leigh kennen lernt wird alles anderes. Die Schönheit dieser Persönlichkeit ist ein Symbol für ein besseres Leben und auch wenn hier die Logik etwas außer acht gelassen wird (denn leider gerät ein Verlierertyp nicht an eine Frau mit einem derartigen Charsima), tut dies der Erzählung keinen Abbruch, das Gegenteil ist der Fall. Es ist schön zu sehen, dass Dinge wenigstens in Büchern einen anderen Verlauf nehmen als im nicht-fiktiven Leben. Der Horror kommt schleichend und zeigt sich dadurch, dass die Jugendschwärmerei von einer Sekunde auf die andere in den Wahnsinn gerät. Sicher es gibt viele Anzeichen die darauf hindeuten, dass sich in Arnies Bewusstsein etwas verändert und seine Freunde darunter zu leiden haben. Möchte man unbedingt den Eingriff in die Idylle jemand oder etwas bestimmten in die Schuhe schieben, dann wohl Christine, die sich in die Beziehung von Arnie und Leigh einzumischen scheint und versucht, ihrer Konkurrentin (und erst recht Arnies Feinden) den Garaus zu machen. Auf eigene Faust schafft dieses individuelle Wesen und Traum jeden Mannes eine besondere Form der Hölle...denn Christine ist ein Auto...
Dieses Produkt als primitiv und trivial abzustempeln ist einfach, wird aber nicht dem Zweck und der Bestimmung gerecht. Auf der einen Seite ist sicher ein gewisses Maß an Unterhaltung gegeben (was man von Kings neueren Büchern wohl kaum behaupten kann), aber unterschwellig enthält "Christine" Kritik gegenüber dem dümmlich-kulturarmen Leben in den USA, dass von Menschen beherscht wird, die versuchen mit Prestigesymbolen wie Autos ihre anderweitigen Defizite zu kompensieren, gegenüber den jugendfeindlichen Schulsystemen, die kategorisch Außenseiter entstehen lässt, und somit in logischer Konsequenz die modernen Amokläufer (z.B. von Littelton 2001) von heute fördert und gegenüber der Neudifferenzierung von Werten wie der Liebe zu Mitmenschen (Dennis), Produkten (Christine) und den nahestehendsten Personen (Leigh). Das der gleichnamige Film von John Carpenter (der dem Inhalt und der Absicht der Romanvorlage überhaupt nicht gerecht wird) so unfassbar schlecht und niveaulos ist, ist sicher einer der Gründe weshalb "Christine" als Buch in der Öffentlichkeit keine Spuren hinterlassen hat. Nichtsdestotrotz ist das genannte Werk von Stephen King so einprägsam, dass es definitiv anderen Büchern gegenüber bevorzugt gelesen werden sollte, schon allein deshalb, weil die Horrorwelt endlich mal neue Welten erblickt, als nur Spukschlösser und Geisterschiffe. [/size]