So, nach langer Zeit mal wieder was längeres von mir:
Zu Anfang meiner King-Zeit (so ab 12 ... sprich am Anfang der Wirrungen der Pubertät) konnte ich mich mit den vielen "Versagern" in den Romanen identifizieren. Exemplarisch hierfür natürlich der "Klub der Verlierer" aus ES. Da ich zu dieser Zeit auch sehr stark Außenseiter und Einzelgänger war, konnte ich vieles von den Gefühlen usw. aus erster Hand nachvollziehen.
Mit 15/16 entstanden dann die ersten Fragen über den Sinn der Art mein Leben zu führen. Ich war damals in einer Clique, die sich in erster Linie durch Selbstdarstellung und Alkohol definierte, ich selber komme aus einem christlichen Elternhaus. Hier habe ich deutliche Erinnerungen, dass ich die Handlungsweise von Pater Callahan durchaus nachvollziehen konnte ("Es ist das erste Bier, dass dich besoffen macht").
Nach dem Abi - ich hatte zu dieser Zeit gute Freunde und war insgesamt gefestigter als vorher - kam die Zeit, wo man sich von vielen Kollegen verabschieden musste. Viele meiner guten Bekannten gingen aus Studiengründen weit weg (u.a. meine langjährige Freundin und Tanzpartnerin) und ich blieb zu Hause und hielt die Stellung. Hier gab es natürlich offensichtliche Paralellen zu Mike Hanlon (war doch der schwarze Bibiotekar, der in Derry geblieben ist?!).
Nachdem diese Veränderungen verdaut waren, entwickelte ich mich - zumindest nach außen - stark Richtung Eddie Dean. Äußerlich eher albern, um seine Schwächen nicht zu zeigen, innerlich durchaus ernsthaft, was allerdings von den meisten nicht erkannt wird.
Mit der Zeit entwickelte ich mich weiter (wir sprechen von der Zeit mit Anfang 20), begann - auch durch mein Studium - mir viele Gedanken zu machen wie etwa über Religion, Politik und Psychologie. Langsam konnte ich mich eher mit den älteren und erfahreneren Charakteren der King-Romane indentifizieren. Hier sei besonders Ralph Roberts aus "Schlaflos - Insomnia" genannt.
Nachdem ich erst vor einigen Tagen mit 25 Jahren mein Studium abbrechen musste und nun arbeitslos ohne sonstige Ausbildung bin, fällt es mir z.Z. schwer, für mein aktuelles Seelenleben einen passenden Protagonisten bei King zu finden. Am ehesten trifft es die Hauptfigur aus Bölls (?) "Ansichten eines Clowns" um meine aktuelle Ziel- und Antriebslosigkeit zu verdeutlichen.
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Zum Thema allgemein:
Wie schon oft erwähnt wurde, wird es sicher keine Figur bei King (und vermutlich auch nicht im Rest der Weltliteratur) geben, bei der man sich sagt: "Jau, genau das bin ich, genau so würde ich in jeder Situation handeln." Trotzdem gibt es natürlich Figuren - auch bei King - die grundlegende Charaktereigenschaften haben, die auch wir Fans im realen Leben selber haben und schätzen ... allerin schon darüber lohnt es sich zu diskutieren.
Eine Trennung besteht hier natürlich (wie auch schon angesprochen) zwischen dem Verhalten, welches man gerne so leben würde und den Eigenschaften, die man tatsächlich im wahren Leben zeigt. Am Beispiel Eddie Dean zeigt sich bei mir dieser Unterschied am besten:
Ich bin immer noch durchaus ein Typ, der mit Schicksalsschlägen ziemlich gelassen umgehen kann, was mich allerdings nicht daran hindert, mich mit diesen innerlich intensiv zu beschäftigen. Allerdings befand ich mich bisher auch noch nicht in ähnlichen Situationen, in denen mein Leben wirklich auf dem Spiel stand und ich meinen Humor ... und meinen Mut ... in Zeiten von realer Lebensgefahr unter Beweis stellen musste.
Einmal in meinem Leben wurde mir wegen einer Lapalie eine Schusswaffe an die Stirn gesetzt und hier setzte sich eindeutig mein Fluchtinstinkt durch, so dass ich mich hier als nächstes an eine Situation erinnere, in der ich weit weg und in Sicherheit war. Ein anderes Mal - während einer kleineren Schlägerei, die mich eigentlich nichst anging - sah ich, wie ein behinderter Jugendlicher, der ohne Arme auf die Welt kam und mit dem ich locker bekannt war , auf brutale Weise geschlagen wurde. Hier brannten mir so ziemlich sämtliche Sicherungen durch und ich den Angreifer sofort attakierte. Hier setzte meine Erinnerung erst dann wieder ein, als ich von meinen Freunden zurückgehalten wurde ... weder ich noch mein Gegenüber konnten noch in die ausklingende Auseinandersetzung eingreifen, kamen aber an einem Krankenhausaufenthalt vorbei. Demnach habe ich also schon öfter "das Gesicht meines Vaters vergessen" und kann nachvollziehen, dass das Verhalten in Gefahrensituationen sich deutlich von dem unterscheidet, was man im Nachhinein am liebsten getan hätte.
So, ich denke das reicht erstmal ... vielleicht habe ich ja etwas Stoff zum Nachdenken und/oder antworten gegeben