von Tiberius » So 07.Feb.2016 10:24
Das ist soetwas wie ein Zwischenstandsbeitrag. Ich muss ehrlich gestehen, ich lese momentan das Buch zum ersten Mal.
Obwohl, nicht ganz zum ersten Mal. Insgesamt ist es wohl der vierte Versuch. Die drei Vorangegangenen - zweimal auf deutsch, einmal im Original - habe ich jeweils nach wenigen Kapiteln abgebrochen.
Und trotz der Motivation des Wikis habe ich meine großen Schwierigkeiten mit dem Roman.
Da ist zum einen das Thema der Zeitreisen. King ist nicht der erste Autor, der sich an dem Thema versucht. Er versucht es auch nicht zum ersten Mal, doch scheitert er für mich mit dem Roman genauso wie mit Ur. Denn King gibt keine wirklich sinnvollen Regeln vor. Das Zurücksetzen der Vergangenheit macht für mich keinen logischen Sinn, genauso wenig wie die Tatsache, dass nur zwei Minuten in der Zukunft vergehen sollen, während man theoretisch komplett in der Vergangenheit zurückbleibt. In meinen Augen kann Templeton dadurch theoretisch das gleiche Fleisch für seine Burger mehrfach am gleichen Abend verkaufen. Eehm, ich glaube, das widerspricht jeder Theorie zum potentiellen Reisen in die Vergangenheit.
Dann kommt dazu, wie zum Henker die Vergangenheit wissen soll, wann sie jemand verändern will. Besonders ärgerlich bei Jakes zweitem Versuch, Dunning aufzuhalten. Kann die Vergangenheit Gedanken lesen? Warum weiß sie schon am Morgen des Tages, dass Jake Dunning nicht nocheinmal beschatten will.
Dazu kommen für mich Charaktere, die ich so nicht greifen kann. Normalerweise finde ich Kings Darstellung der Charaktere großartig. Hier habe ich bisher so meine Probleme. Ich finde weder Jake noch Al sympathisch oder interessant genug, um die Handlung bisher zu tragen. Nebencharaktere wie Bill Turcotte sind in meinen Augen nur dafür da, um die Handlung möglichst rasch voranzutreiben. Wenn die Vergangenheit sich nicht ändern will, warum lässt sie es dann zu, dass Turcotte und Epping sich treffen? Welch toller Zufall, dass Turcotte so paranoid ist, dass er nur auf Grund einer harmlosen Frage den Fremden von seinem Bekannten Frati ausfragen lässt. Überhaupt, wie naiv ist Epping eigentlich was Frati angeht? In einer Stadt, in der jeder Einheimische verschlossen und zugeknüpft ist, spricht ihn jemand in einer Bar an und erzählt locker flockig vom Objekt der Begierde. Ganz ohne große Umwege, ganz ohne Hintergedanken - scheinbar.
Frati, Turcotte, und leider auch Beverly und Richie Tozier. Wenn die Vergangenheit nicht will, dass man sie verändert, geht sie ihrem Job mitunter extrem lausig nach und macht es Epping extrem leicht, seinen Plan zu verfolgen. Oh, dass ich nicht nachvollziehen kann, warum Epping so von Harry Dunnings Aufsatz mitgenommen wurde, liegt wahrscheinlich daran, dass ich so gefühlskalt bin. Bestimmt. Oder aber, dass King erwartet, dass ich mit Harry nachfühle, obwohl er ihn nichtmal annähernd vorgestellt hat, obwohl er mir keinen Grund gibt, außer das Bild, wie der 10-jährige mit einer Spielzeugwaffe auf seinen rasenden Vater schießt ... Wenn Epping wirklich so interessiert an Harry Dunning ist, warum weiß er dann nicht schon vorher von dessen Schicksal. So hat es fast schon was von Heuchelei.
Eine weitere Figur als Nebenbemerkung: Ich habe mich extrem gefreut, nochmal von Derry zu lesen. Es war sogar teilweise recht witzig - wie Frati Gelände für eine potentielle Mall anbietet und das Gelände 27 Jahre darauf wirklich eine Mall ist zum Beispiel. Warum King aber unbedingt auf die Stimmungsbremse drücken musste, ist mir unerklärlich. Norbert Keene fand ich in 'ES' bemerkenswert. Er war der einzige, der Sonia Kaspbrak, der Mutter von Eddie Kaspbrak, entgegengetreten ist. Der die Eier hatte, ihrem Sohn zu erklären, dass er schon seit Jahren Placebos bekam. Und 40 Jahre später - oder wenige Monate handlungszeittechnisch darauf - ist er ein gefühlskalter Mistkerl, der kein Problem hat, wenn sich ein Kunde - Fremder oder nicht - vor seinen Augen in die Hosen kackt? Das ist im wahrsten Sinne des Wortes kacke.
Ich bin vom ersten Akt des Romans enttäuscht. Bisher fühlt es sich an, wie ein Film von einem mittelmäßig begabten Drehbuchautor. Zu viele Dinge, die zufällig Jake Epping in die Hände spielen. Zu viele Dinge, die mich mit Fragezeichen zurücklassen. Zum Beispiel: Was würde passieren, wenn jemand in die Vergangenheit reist und währenddessen ein Zweiter durch das Portal nach '58 und wieder zurückreist? Bleibt der erste dann zurück und wird zum Kartenmann? Oder wird er in die Zukunft teleportiert? Warum weiß Templeton von Eppings Plan, Dunning zu retten, wenn dieser erfolgreich war? Wieso ist Templeton so erpicht darauf, Kennedy zu retten und hat sich nicht schon längst Unmengen von Kohle angehäuft - wie das Fleisch, dass er ja immer wieder neu kaufen und transportieren kann. Ich glaube mit dem nötigen Kleingeld ist es ziemlich egal, wie die Welt aussieht.
Es wird noch eine schwere und nervenaufreibende Reise befürchte ich. Allerdings hoffe ich auch, dass jetzt - nachdem die Sache mit Derry erledigt ist - Jake als Held und ich als Leser wieder in gewohnte Bahnen und in die richtige Spur kommen.