"Das Bild" ist eines dieser Bücher, die man mehr oder weniger in einem Rutsch lesen kann, find ich - ich hab es in jeder freien Minute zur Hand genommen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie's weitergeht, und ich find auch nix daran auszusetzen. Das übernatürliche Element ist vielleicht etwas zu konstruiert, und die Geschichte hätte vermutlich auch ohne Rose Madder funktioniert, aber es hat von der Dosis für mich genau gepasst, und ich fand auch Rose Madder selbst sehr interessant. Dass sie fand ich wenig überraschend, und die Parallelen zum scharlachroten König sind auch interessant, ebenso die Querverbindungen zum Turm. Was mich aber wirklich beeindruckt hat, waren die Figuren - vornehmlich Rose und Norman. Dass King die Geschichte abwechselnd aus Roses und dann wieder aus Normans Perspektive erzählt hat, war eine gute Entscheidung, weil man so beide Figuren kennenlernen und in ihre Gedanken- bzw. Gefühlswelt eintauchen konnte. Bei beiden hat King den Entwicklungsprozess sehr anschaulich dargestellt - auf der einen Seite Rose, die sich immer mehr emanzipiert und den Weg in ein neues Leben sucht, auf der anderen Seite Norman, der immer stärker in den Wahnsinn abgleitet. Was mich an Norman erschreckt hat: Der war ja allen Ernstes der Meinung, dass sein Weltbild das einzig richtige ist und dass er richtig handelt
Der Sadismus war vielleicht ein kleines bisschen überzeichnet, aber gut. Wofür ich King dankbar bin: dass er nicht versucht hat, groß zu erklären, warum Norman so ist, wie er nun mal ist. Das hätte nämlich ins Auge gehen können, so nach dem Motto "Der Ärmste wurde als Kind misshandelt und missbraucht, deswegen ist er jetzt ein Psycho, dem muss doch geholfen werden". Gut, dass er darauf verzichtet und lediglich angedeutet hat, dass Norman eine grausliche Kindheit hatte. Mein Mitleid mit ihm hielt sich jedenfalls in sehr engen Grenzen, weil es in meinen Augen keine Rechtfertigung gibt, einen anderen Menschen zu schlagen, zu misshandeln oder umzubringen, grausliche Kindheit hin oder her. Abgesehen davon war Norman ohnehin schon jenseits von Gut und Böse, jeder Versuch, den einer Therapie zu unterziehen, wäre sowieso zum Scheitern verurteilt gewesen - weil er selbst nicht erkannt hat, dass er falsch handelt. Roses Entwicklung wiederum ging mir stellenweise ein bissl zu flott; dass sie sich so rasch nach der Trennung wieder verlieben kann, nun ja - das war ein bissl konstruiert, hat mich aber nicht weiter gestört. Ich hab mich nur, als Bill erstmals aufgetaucht ist,
Die mythologischen Erklärungen sind ziemlich spannend; ich hätte das Ganze als Mischung aus keltischer und griechischer Mythologie gesehen - keltisch wegen der Anderswelt, in der die Zeit anders abläuft als in unserer Welt, keltisch wegen der Gewandung von Rose Madder, dem Labyrinth, dem Stier und dem Namen des Stiers, dazu dann noch etwas Biblisches mit dem Baum der Erkenntnis. Ja, und Roses erster Besuch in der Anderswelt hat auch was von einer klassischen Heldengeschichte - sie muss ein paar Aufgaben bzw. Versuchungen meistern, um dann, als sie aus dem Labyrinth kommt, quasi wiedergeboren zu werden. Ich denke, dass an diesem Punkt die endgültige Heilung einsetzt und Rose auch endgültig die Stärke findet, um mit Norman so umzugehen, wie er es verdient.
Shiny. Let's be bad guys.