von Lloyd » Fr 16.Jul.2010 13:50
Über den erstaunlich langen Zeitraum von (fast) 40 Jahren, in denen Stephen King aktiv ist, kann man die Stileinflüsse und charakteristischen Eigenschaften der King-Bücher eigentlich in Dekaden aufteilen. In den 70ern war der Stil grobschlächtig und hölzern, Trash-Horror mit Splatter-Einlagen eben. In den 80ern kam dann die große Mainstream-Horror-Wave, darauffolgend die sprachlich versierteren (aber auch langatmigeren) 90er Jahre. Seit 2001 ist die Sprache ästhetischer und poetischer geworden, die Romane wirken reifer.
"Feuerkind" (erschienen 1980) liegt also irgendwo zwischen Trash und Mainstream. Wer jetzt aber glaubt, dass es sich dabei um einen halbgaren Lückenfüller oder um einen Schnellschuss handelt, liegt falsch. "Firestarter" bietet einen Unterhaltungswert auf durchweg ansprechenden Niveau und besticht durch eine dermaßen umwerfende Protagonistin, dass manche inhaltliche Schwäche im Storyplot gerne in Kauf genommen wird.
Auf narrativer Ebene ist die Geschichte schnell erzählt:
Die USA während der großen San Francisco-LSD-Welle in den 70ern. Andrew nimmt mit seiner Frau an einem Hochschul-Experiment teil, bei dem "die Firma" eine psychedlische Ersatzdroge an Menschen austestet. Als Jahre später Andys Tochter Charlene an Pyrokinese erkrankt, heftet sich "die Firma" an ihre Versen. Charlie hat sich geschworen, niemals von ihren Kräften Gebrauch zu machen. Doch gilt das auch, wenn die eigene Familie in Gefahr ist?
Wieder einmal zeigt Stephen King sein unglaublich intensives Feingespür für Antagonisten- und Frauencharaktere. Die Komplexität der Figuren OJ und Irv (sehr gut), Charlene (großartig) und Cap Hollister (meisterhaft!) sind brilliant, nahezu perfekt. Einzig der Hauptgegener Rainbird wandelt auf schmalen Grat, seine Figur hat - insbesondere zum Ende hin - etwas von einer fehlinszenierten Karikatur. Was sicherlich der Rollenverteilung geschuldet ist. Der Fokus liegt einzig und allein auf Charlie, die mit einer Leichtigkeit und einem bombastischen Charme in dem Roman aufgeht, vergleichbar mit Trisha aus der 20 Jahre später erschienenen Novelle "Das Mädchen". Doch damit geht auch der Harken der Geschichte einher. Das - wortwörtlich - explosionsartige Ende ist ergreifender als alle andere, was King bis zu diesem Zeitpunkt geschrieben hat. Von daher eine Warnung an alle, die nah am Wasser gebaut sind, es sich noch einmal zu überlegen.
Fazit: "Feuerkind" genießt seinen Ruf, als zweitklassiges Popcorn-Frühwerk mit Trash-Einlagen im Regal zu verstauben, zu Unrecht. Trotz unnötiger Längen im Mittelteil, offensichtlichen Logik-Fehlern und einem - im Vergleich zu heutigen Maßstäben - sehr limitierten Gore-Faktor, sind hier schon im Ansatz viele von Kings Stärken zu erkennen, welche später in den 80ern auch besser und genauer umgesetzt worden sind und somit zu Recht "Es" und "Misery" als Kultbände des Horrors gelten!