Habe mir gestern das Blair Witch Project nochmal auf deutsch zu Gemüte geführt. Ja, die kürzlich vermisste Gänsehaut zeigte sich wieder, allerdings auch kritisierende Gedanken, die ich mir früher nicht bzw. weniger gemacht hatte. (Wenn man einen Film unzählige Male gesehen hat, achtet man doch irgendwann auf Kleinigkeiten *g*)
SPOILER Zuerst einmal: Heather scheint über die Wälder von Burkittsville doch bestens informiert zu sein. So kann sie aus einem Buch vorlesen, was einst am Coffin Rock geschah, den sie mithilfe einer Karte hatte finden können. Diese Karte nutzt sie allerdings recht verantwortungslos, vertraut darauf, ziemlich genau zu wissen, wo es langgeht. Liegt die Vermutung nicht nahe, dass sie einen gewissen Teil ihrer Strecke zuvor schonmal gegangen war? Oder möchte sie einfach nur selbstsicher sein und bestimmen, wo es langgeht?
Dem Vorhaben der drei Studenten musste ein Plan zugrunde gelegen haben, durch den sie Gewissheit erfahren haben, wie lange sie ohne Schwierigkeiten im Wald auskommen würden. Ich frage mich, WAS schleppen die dort alles mit, was nicht lediglich Kameraausrüstung war? Wo waren die Proviante, die sie kurz zuvor eingekauft hatten? Zu keiner Sekunde sieht man einen von ihnen essen (bis auf Mike, der irgendwann so hungrig ist, dass er sich an einem Blatt versucht). Niemand von ihnen hatte die Möglichkeit einkalkuliert, länger als einen Tag im Wald verbringen zu müssen. Dass sie das Zelt mitgenommen haben, setzte nicht zwangsläufig den Gedanken voraus, nächtelang dort zu bleiben. (Kampieren tut man auch am Tage nach einem stundenlangen Marsch; vor allem bei dem Sauwetter.) Doch scheinbar war es wichtig, noch zusätzliche Kameraausrüstung mitzuschleppen, die nicht nur schwer, sondern auch hinderlich war.
Der Zuschauer gewinnt den Eindruck, dass vor allem Heather zwar viel Ahnung von ihrem angestrebten Ziel hat, aber keineswegs von dem Weg, den sie gehen muss, um dieses zu erreichen. Wieso ist sie so ausgerastet, nachdem Mike gestanden hatte, die für ihn nutzlose Karte in den "scheiß Fluss" gekickt zu haben? Sie hatte sie doch kaum benützt - wie oben bereits erwähnt.
Und wo ich gerade dabei bin: Wieso sind sie nicht einfach dem Fluss/ Bach gefolgt? Irgendwo musste doch auch dieses Gewässer seinen Ursprung und auch ein Ende haben. Möglicherweise wären sie sogar weiteren Menschen begegnet (
) (Bevor sie richtig in diesen Wald hineingeraten, fahren sie doch auch an einer kleinen Hütte vorbei; mich hätte schon interessiert, ob dort jemand wohnt, wer sie gebaut hat usw.) Stattdessen weist Heather den Weg, mit dem Gedanken an eine Abkürzung, der sie sich so sicher war. Spätestens hier ist klar: Sie hat keinen Plan, aber nicht den Schneid, es zuzugeben.
Der Wald, durch den sie irrten, war ziemlich licht. Es gab keine wahnsinnig hohen, dicht beeinander stehenden Bäume, die es ihnen kaum ermöglichten, geradeaus weiterzugehen oder etwas zu sehen, woran sie sich hätten orientieren können.
Sich mit Karte UND Kompass zu verlaufen, erfordert echt schon große Kunst, oder? Selbst wenn die Karte dann weg war; auch den Kompass wusste sie nicht zu gebrauchen; hatte wohl noch nie etwas von der "Wetterseite" gehört, von Moos an Bäumen, an dem man wenigstens eine Himmelsrichtung bestimmen kann, ebenso wie an der Sonne und den Sternen. Dass sie daran gedacht hatten, die Karte, den Kompass und das Zelt mitzunehmen, war an sich nicht verkehrt. Die Eventualitäten wurden vorher aber nicht ausreichend ausgelotet.
Diese drei Studenten waren also keineswegs bestens vorbereitet, ihre Anführerin Heather wahnsinnig zielstrebig, bestimmend und sehr naiv. Dass diese Tatsache; -
das einsehen zu müssen - ihrem Selbst schwer zu schaffen machen würde, war verständlich. Dass die Angst groß war und die Lage äußerst angespannt - auch zwischen ihnen - nachvollziehbar.
Jetzt kommt wieder ein fettes Aber: Wie kann man denn noch Gedanken daran verschwenden, die DAT klarzumachen, sich die Kamera zu schnappen und aufzunehmen, wenn man gerade die Hölle seines Lebens durchmacht und vor Angst und Kälte schlottert?
Es gibt in dem Film einige Szenen, wo dieses Handeln nicht nachvollziehbar ist:
So ziemlich alle Nachtszenen, vor allem aber die, in der vermeintlich ein Kind zu hören ist, irgendetwas am Zelt rüttelt und sie dazu zwingt, dieses fluchtartig und panisch kreischend zu verlassen - die Kamera ist dabei.
Dann als Josh verschwindet; hört man nicht spätestens hier auf, alles zu dokumentieren und macht nur noch, dass man da wegkommt? Der grausige Fund; dieses Bündel aus Zweigen und Stoff, in dem etwas eingewickelt ist, was aussieht wie eine Zunge und ...ich weiß nicht was ...
Heather hält dies alles fest.
Die beiden letzten Nächte; nur noch sie und Mike sind übrig. In der Nacht sind Schreie zu hören. Ob die von Josh sind?
Heather klammert sich noch immer an ihre Kamera; an den Gedanken, dass sie sich das alles eines Tages ansehen und darüber lachen würden ....
Dann taucht dieses Haus auf, aus dem die Schreie zu kommen scheinen; keiner von den beiden denkt auch nur eine Sekunde lang darüber nach, die Kameras fallen zu lassen und sich allein darauf zu konzentrieren, ihren Freund zu finden. Sicherzugehen, dass er noch lebt. Die Kamera hält alles fest ...auch ihre letzten Sekunden. Todesschreie.
Es ist wirklich eigenartig. All die unzähligen Male war mir all das scheißegal. Gestern zeigte sich nun nach der Subjektivität - nach dem wahrhaftigen Erleben dessen, was die anderen durchmachen - das objektive, kritische Auge. Bislang hab ich die Kamera zeitweise vergessen können, war es vielmehr so, als würde ich das sehen, was
die durch ihre Augen (nicht durch die Kameralinse) sehen ....aber seit gestern ...ich fürchte, jetzt bin ich wirklich an dem Punkt, da ich diese Kritikpunkte nicht mehr - oder nur sehr schwer ignorieren können werde, was die bisherige Wirkung des Filmes gewaltig schmälert.
Boah ...ich hab mir den Film, den ich eigentlich mag (mochte?) so richtig madig gemacht ....na toll ....-.- Klar wusst ich von Anfang an, dass Blair Witch NUR ein Film ist, aber jetzt fällt's mir langsam echt schwer, das für diese 78 Minuten einfach mal zu vergessen und wirken zu lassen, was ich seh ....sch ....ade
Naja. Immerhin werden (fast) alle von mir aufgezählten Kritikpunkte im Film selbst mehrfach angesprochen und integrieren sich so als wesentlicher Bestandteil: das ewige Filmen von Heather, welches ihren Begleitern mächtig auf die Nerven geht; ihr unbekümmertes, zu sicheres Auftreten, ihre letztendliche Einsicht ... die Idee, dem Bach zu folgen kam auch auf; wieso wurde die nicht in die Tat umgesetzt? Sie haben ihn nur überquert ... Naja, es ist und bleibt eine Frage der Einstellung ...auf das Blair Witch Project muss man sich einlassen. Jedesmal aufs Neue.