von Moritz » Do 06.Sep.2001 23:11
Also, hiermit eröffne ich den schon lange fälligen Thread.
Diese Filme hat Kubrick in der Zeit zwischen 1956 und 1999 gedreht:
1956: "The Killing"
1957: "Wege zum Ruhm"
1960: "Spartacus"
1962: "Lolita"
1963: "Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben"
1968: "2001 - Odyssee im Weltraum"
1971: "Uhrwerk Orange"
1975: "Barry Lyndon"
1980: "Shining"
1987: "Full Metal Jacket"
1999: "Eyes Wide Shut"
Dann kann ich euch noch erzählen, was ich über Kubrick sonst so weiß. Kubricks erste Filme "Wege zum Ruhm", "Spartacus", "Lolita" und "Dr. Seltsam" waren in den 50ern und 60ern große Publikumserfolge, sind heute aber größtenteils in Vergessenheit geraten. Nur die von euch, die über vierzig Jahre alt sind, werden sich wahrscheinlich noch an die Filme erinnern.
Erst mit "2001 - Odyssee im Weltraum" gelang Kubrick ein Klassiker, der auch heute noch in aller Munde ist. Es handelt sich dabei um die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Arthur C. Clarke. Es gab einen Skandal, als jemand herausfand, dass der Name des Computers HAL die Buchstaben der bekannten Firma IBM ergeben, wenn man alle Buchstaben im Alphabeth nach hinten verschiebt und es wurde gerätselt, ob das irgendeine Bedeutung hat. Clarke behauptet allerdings, dass das nur ein Zufall wäre.
Stephen Spielberg hat einmal gesagt, "2001" wäre so was wie ein filmischer Urknall für eine ganze Generation von Filmemachern gewesen.
Mit "2001" fand Kubrick auch erstmals zu seinem persönlichen Stil. Alle Filme vor "2001" hätte auch ein anderer Regisseur drehen können, aber ab "2001" war Kubrick unverkennbar Kubrick.
Seinen Stil zeichnet auch aus, dass er seine Figuren immer auf eine relativ "kalte" Art betrachtet. Kubricks Filme fühlen nicht mit seinen Figuren (was man durch Kamerafahrten, -einstellungen, Beleuchtung, Musik erreichen kann), sondern betrachtet sie völlig ohne zu werten.
Es gibt eigentlich in keinem Kubrick-Film eine Identifikationsfigur.
Was man auch in allen Kubrick-Filmen seit "2001 - Odyssee im Weltraum" findet, sind große "story surprises and character surprises". Steven Spielberg sagt: "Kubricks Genie war es, dass man sich seine Filme immer wieder anschauen konnte, und jedesmal wieder an denselben Stellen überrascht war."
Kubricks nächster Film war das Gewaltepos "Uhrwerk Orange" und dieser Film gilt heute zusammen mit "Natural Born Killers" als am häufigsten in der Realität imitierter Gewaltfilm.
Ich weiß auch noch, dass Kubrick nie kommerziell war, allerdings hat es ihm dennoch ziemlich zugesetzt, dass sein Kostümepos "Barry Lyndon" an den Kinokassen floppte. Deshalb hat er als nächstes Projekt Stephen Kings "Shining" verfilmt, was wohl das kommerziellste Filmprojekt in Kubricks Karriere war.
Kubricks nächter Film war "Full Metal Jacket" und stieß bei großen Teilen des Publikums auf Ablehnung, weil das Publikum 1987 extrem realistische Kriegsfilme gewöhnt war (wie zum Beispiel Oliver Stones "Platoon") und Kubricks Film mehr Wert auf künstlerischen Anspruch als auf Realismus legt.
Danach legte Kubrick eine Pause ein. Er wollte sich danach eigentlich mit dem Projekt "Artificial Intelligence" beschäftigen, doch er musste feststellen, dass die Computeranimationen noch nicht gut genug waren um seine Visionen umzusetzen. Er wollte nämlich den Jungen, der die Hauptrolle spielen sollte, komplett am Computer animieren.
Statt dessen widmete er sich dem Projekt "Eyes Wide Shut", eine Verfilmung von Arthur Schnitzlers "Traumnovelle". Kubricks Frau hatte ihm eigentlich schon vor zwanzig Jahren "verboten" die "Traumnovelle" zu verfilmen, weil der Stoff zu anstößig sei.
Kurz nachdem Kubrick die Dreharbeiten und den Schnitt am Film vollendet hatte, starb er. Ich glaube, an einem Herzinfarkt.
Was Kubricks Filme auch auszeichnete, kann man an "Eyes Wide Shut" besonders gut nachvollziehen: Szenen, die einen völlig überraschen, weil sie eigentlich nicht in diesen Film gehören zu scheinen. Der Maskenball in "Eyes Wide Shut" ist doch eine totale Überraschung, denn der Film fängt ja an wie eine Lovestory, aber diese Szene erinnert mehr an einen Horrorfilm. Sie trifft den Zuschauer völlig unvorbereitet.
Steven Spielberg hat Kubricks Drehbuch zu "Artificial Intelligence" nun verfilmt, nachdem Kubricks Familienangehörige ihn darum gebeten hatten.
Der Film mit Haley Joel Osment ("The Sixth Sense") kommt nächste Woche in unsere Kinos.
Steven Spielberg über Kubrick:
"Die Beleuchtung, die schauspielerischen Leistungen, die Kulissen, die Steadycam-Fahrten in 'Shining', die Zoom-Bewegungen in 'Barry Lyndon' - das alles war perfekt, vollendet. Niemand in der Geschichte hat je bessere Filme gemacht als Stanley Kubrick. Aber seine Art Geschichten zu erzählen unterschied sich oft von der Art Geschichten erzählt zu bekommen, die das Publikum gewohnt war. Seine Erzählkonstruktionen gingen dem Publikum oft gegen den Strich. Deshalb muss man Kubricks Filme mehr als einmal sehen um sie zu mögen, mann muss mit ihnen wachsen. Aber das größte Wunder ist: Wenn man einen Kubrick-Film zum ersten Mal sieht, kann man nicht abschalten - es ist unmöglich! Kubrick muss da einen speziellen Sicherungsschalter oder etwas in der Art gehabt haben..."
Ich mag an Kubricks Filmen, dass sie sich von den üblichen Hollywoodproduktionen komplett unterscheiden. Kubrick hat eine ganz spezielle Art die Menschen zu sehen und das gefällt mir. Ich liebe auch die Unvorhersehbarkeit seiner Filme. Für mich ist Kubrick aber bis zu einem gewissen Grad ein Horrorregisseur, denn ich finde alle seine Filme seit "2001 - Odyssee im Weltraum" haben viel Ähnlichkeiten mit Horrorfilmen. Kubrick spielt gern mit den Angstgefühlen seiner Zuschauer.
"Shining" finde ich ziemlich interessant, weil es eine King-Verfilmung ist und ich finde, King und Kubrick sind zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und diese zwei Menschen dieselbe Geschichte erzählen zu sehen/lesen ist für mich schon ein aufregendes Erlebnis.
Ich finde auch interessant, wie die Kubrick seine Schauspieler spielen lässt. Zum Beispiel Tom Cruise in "Eyes Wide Shut". Irgendwie wirkt er die ganze Zeit ein bißchen befremdlich. Glaubwürdig, aber... komisch. Und das macht ihn interessant. Und genauso verhält es sich mit fast allen Rollen in Kubricks Filmen.
Ich denke allerdings, dass Kubrick vor allem deshalb so erfolgreich war, weil seine Filme oft so undurchsichtig erzählt sind, dass niemand seine Filme vollkommen verstanden hat und sich deshalb auch niemand getraut hat sie zu kritisieren. Zum Beispiel das Ende von "2001 - Odyssee im Weltraum" - ich denke, niemand weiß, was dieser Schluss wirklich zu bedeuten hat. Oder "Eyes Wide Shut": Ich hab den Film mindestens achtmal gesehen und mir ist immer noch nicht alles klar.
Gerade am Ende seiner Filme, wo eigentlich klar werden müsste in wiefern die Geschichten seine Hauptfiguren verändert haben, wird oft alles so undurchsichtig, dass man nur rätseln kann, was die Botschaften seiner Filme sind.
Warum Kubrick so als Genie gilt, hat aber auch viel mit seinem Perfektionismus beim Drehen zu tun.
Die Dreharbeiten zu "Eyes Wide Shut" dauerten siebzehn Monate und gehören damit zu den längsten der Filmgeschichte. Kubrick ist auch bekannt dafür, dass er eine Szene oft über fünfzig mal (!!!) wiederholen ließ, bis sie ihm gefiel. Hätte er das allerdings immer gemacht, dann hätten die Schauspieler sich irgendwann nicht mehr so angestrengt, nach dem Motto: "Ich hab ja sowieso noch 50 Takes Zeit..." Aber Kubrick beugte dem vor, indem er andere Szenen bloß ein, zweimal wiederholen ließ.
Kubrick ist auch bekannt dafür, dass er seine Schauspieler gerne übertreiben lässt. Zum Beispiel Jack Nicholson in "Shining". Daran stören sich auch viele Zuschauer.
Außerdem fällt auf, dass Kubricks Filme oft mehr Ähnlichkeiten mit Theater als mit Filmen haben. In Kubricks Filmen gibt es nur relativ wenige Schnitte und auch dass die Schauspieler übertreiben kennt man eigentlich eher vom Theater als von Filmen. Und dass bei den Kulissen mehr Wert auf künstlerischen Anspruch als auf Realismus gelegt wird, ist auch typisch fürs Theater, weil im Theater die meisten Hintergründe sowieso nur mehr oder weniger symbolisch dargestellt werden können.
Trotz all dem gehöre ich nicht zu denjenigen, die Kubrick vergöttern. Ich finde ihn interessant und mag viele seiner Filme und hab die meisten seiner Filme zu Hause auf DVD, aber es gibt auch vieles, was mir nicht gefällt.
"Uhrwerk Orange" hat ja, wie weiter oben schon erwähnt, viele Nachahmer gefunden. Dafür mache ich Kubrick schon teilweise verantwortlich.
Dann ist vieles an seinen Geschichten unglaubwürdig. Seine Filme brillieren mehr durch ein Genie beim Inszenieren als durch ein erzählerisches Genie. (Genau umgekehrt wie bei Stephen King)
Mein Lieblingsfilm von Kubrick ist "Eyes Wide Shut", vielleicht weil es sein neuester und modernster ist.
"Full Metall Jacket" mag ich allerdings nicht. Laut Kubricks eigener Aussage hat sein Film keine Botschaft. "Er ist nicht gegen das Militär, wenn überhaupt, dann ist er gegen den Krieg, der die Menschen in solche Situationen bringt." Was ist ein Film über den Vietnamkrieg ohne eine Botschaft?
Außerdem denke ich, dass "Full Metal Jacket" sein Ziel größtenteils verfehlt, denn ich denke, der Film wird viele Jugendliche dazu inspirieren zum Militär zu gehen und ich denke, dass Kubrick eigentlich eher das Gegenteil wollte - der Vietnamkrieg war ja ein völlig sinnloser, perverser Krieg.
Aber in Kubricks Film wird das Militär wie eine Mutprobe dargestellt, auch wenn er die Nachteile zeigt. Nach diesem Film wird es bei den Amerikanern genauso heißen wie zuvor: Wer zum Militär geht, ist mutig und ist ein richtiger Mann! Und wer nicht zum Militär geht ist feige oder unfähig.
Kubrick unterstreicht mit seinem Film solche Thesen eher als dass er sie entlarvt.
Womit wir wieder bei unserem "Bund oder Zivildienst"-Thread wären...