von Gio » Sa 24.Sep.2005 20:53
Wie angekündigt, hier nun die Rezension zu
Das wandelnde Schloss
In einer von aufschwingender Industrie geprägten Großstadt der Vorkriegszeit arbeitet die introvertierte Sophie als Hutmacherin im Laden ihrer vaterlosen Familie. Während sich ihre Schwester in kreischbunten Kleidern mit Klatsch, Tratsch und Soldaten auslebt, ist ihr Kleid farblos und trist, ihre Stimme schüchtern und betont höflich, ihre Haare brav geflochten. Alt wirkt sie, älter als ihre Mutter. Welch langweiliger Charakter.
Kann es sein, dass man nun von Hayao Miyazaki, dem bekanntesten japanischen Anime-Regisseur mit den weltweit größten Filmerfolgen, eine Geschichte serviert bekommt, deren Hauptperson altbacken und totlangweilig ist? Bitte nicht, denkt man. Die Erwartungen waren doch so groß.
Dann ergibt sich etwas Merkwürdiges. Eben noch schlenderte Sophie durch die Stadt und brach in Selbstmitleid aus, und im nächsten Moment - ja glaubt man’s denn? – kommt ein Fluch, und statt dem Mädchen schaut uns eine Großmutter entgegen. Natürlich, man hatte sich geirrt. Sophie ist nicht totlangweilig. Im Gegenteil. Sie ist die vielleicht liebenswerteste Filmgestalt des ganzen Jahres. Und die einzige, die man sich lebenslang verflucht wünscht.
Wie kam es zu dem Ganzen? Etwas verwirrend, denn Miyazaki verzichtet auf die westlich traditionelle Erzählform mit Einleitung und simplen Schwarzweißcharakteren, deren Gedankenlogik zu durchschauen ist, bevor sie zu reden beginnen. Aus Dialogen und Geschehnissen lässt sich ein nur undeutliches Bild dieser Welt konstruieren: Ein Zauberer soll herumziehen und Herzen essen. Hexen aus dem Niemandsland machen die Gegend unsicher. Schwarze Schwabbelgestalten verschwinden in obskuren Teekännchen, nachdem sie sich aus dem Nichts formierten. Einfangen sollten sie den geheimnisvollen Schönling, der soeben noch mit Sophie durch die Lüfte schwebte.
Diese sich sukzessiv zusammenspinnende Welt bleibt bis zum Schluss nicht ganz überschaubar. Muss sie auch nicht, denn sie ist Staffage. Die Handlung dreht sich um Sophie, den schönen Zauberer Haouru und ihren Wegbegleitern. Aufgrund ihres Äußeren verlässt Sophie die Stadt und verirrt sich in Haourus Haus, ein sich durch Magie fortbewegender Haufen Schrott, der ihr ein neues Heim bietet. Mitsamt der Möglichkeit, die Schönheiten des Lebens und die Liebe zu entdecken. Nicht die Liebe zu einer austauschbaren Märchenprinz-Schaufigur mit Charakterverkrüppelung, sondern zu jemand, der eitel und feige ist, stark und trotzdem Kind, alternierend schön und hässlich. Die Charaktere dieser liebevoll gestalteten Welt sind vielschichtig und unperfekt, gerade deshalb so besonders. Anklänge des japanischen Animes an den Westen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind deutlich zu finden, ebenso Parallelen zu bekannter Literatur wie "Alice im Wunderland". Türen führen je nach Farbwahl in andere Welten, Gestalten verändern sich nach Befinden, Traum und Wirklichkeit sind verwoben, die Wahrheit wird erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Eklatantes Beispiel für die Schönheit hinter dem Maroden ist allein der Name des wandelnden Haufens aus Blech, Metall und Rost: „das wandelnde Schloss“. Bei solch einem Wunderwerk verzeiht man auch das abrupte Ende mit Kitschgehalt.
Gezeichnet wurde betont altmodisch und mit viel Liebe zum Detail; traditionelle Handarbeit steht im Vordergrund, neumodische Computereffekte und –Einflüsse wurden bewusst gering gehalten.
Was bleibt da als Resultat? Wunderbarer Filmzauber mit unadäquater Altersfreigabe. Denn „das wandelnde Schloss“ ist weder vom Anspruch her für Sechsjährige greifbar, noch sollte sich die Zielgruppe auf diesen Bereich beschränken.