von Gio » Do 16.Feb.2006 00:00
Einer der - meiner Meinung nach - überschätztesten Filme seit langem. Ich weiß, dass ich in diesem Thread wohl ziemlich alleine darstehe, und nicht nur hier, aber das ändert nichts an meiner Meinung. Auch die gelesenen Beiträge hier überzeugen mich nicht vom Gegenteil.
Asiatisches Kino ist extrem, das steht eindeutig fest. Sollte man das Ablehnen? Nein. Sollte man darin eine Kunstform sehen? Definitiv. Ist es deswegen zwangsweise toll? Ich denke nicht.
Ein Großteil mag Geschmacksache bleiben. Doch eine Hypertheatralik ist - was auch an ästhetischen Empfinden und schockierenden Momenten dahinter stecken mag - nicht wegen ihrer Existenz etwas Kunstvolles. Sie muss gut platziert werden.
Wenn es die Theatralik selbst ist, die verschreckt… ist man dann nicht etwas über das Ziel hinaus?
Mh.
Bin ich da etwas empfindlich?
Weiß ich nicht... ich tendiere aber, auch selbstkritisch, zu "nein". Ich störe mich schließlich nicht an der Theatralik selber, sondern an bestimmten Szenen.
Ab jetzt beginnen Spoiler
Mir sind zwei Sachen übel aufgestoßen an dem Film. Erstens die perfide Racheaktion. Dass sie gleichzeitig den Kern des Ganzen darstellt, ist mir klar. Aber ich weigere mich, den Inbegriff von psychischer Folter als Kunst zu bezeichnen. Und es ist klar: Alles, absolut alles drehte sich um die bestialische Foltermethode. Man sperrt einen Mann ein und gibt ihm Medikamente, damit er nicht vollkommen durchdreht oder erlöst wird. Man entwickelt einen Plan, um ihn anschließend, in Freiheit, so reagieren zu lassen, wie man es will. Dann verursacht man, dass diese Person jemanden liebt, zur Liebe wieder fähig wird, nur um ihn das zu nehmen - und nicht nur das. Gleichzeitig wird alles, was man von dieser Liebe hatte, mit einem Ekelgefühl verbunden. Die Gefangenschaft, 15 Jahre, ohne zu wissen, warum und wie lange, waren nur der "gütige" Teil der Psychofolter. Der folgende beinhaltet jegliche Form der Perversität. Es wird nicht nur mit Inzucht gespielt. Es geht auch um Ehre, die - und das ist das Schlimmste - zerstört wird. Vollkommen vernichtet. Die berechtigten Rachegedanken wandeln sich zu tiefer Demut, werden zu tiefer Demut gewandelt. Und nicht einmal dieser Moment - in dem der Protagonist als hechelnder, schwanzwedelnder Hund seinem Folterknecht die Schuhe ohne Aufforderung leckt - ist genug, er fügt sich selber unvorstellbare Qualen zu. Er schneidet sich die Zunge ab, was sein weiteres Leben beeinflusst. Im weiteren Verlauf wird er - der Gedemütigte, Verletzte, zutiefst Ehrlose, schrecklich Misshandelte, psychisch Gequälte, um sein Leben Betrogene, als Spielzeug Degradierte - verspottet. Ihm wird scheinbar Macht erteilt, und sobald er diese nutzen will, hört er das Stöhnen seiner eigenen Tochter, mit der er unwissend geschlafen hat. Ein Lächeln des Folterknechts, der ihn ein weiteres Mal auf eine Art und Weise gedemütigt hat, die an sich schon schwer vorstellbar ist.
Genau genommen wurde dieser Mensch auf alle möglichen Arten und Weisen gequält. Und dem zuschauer wurde dies am Ende offenbart.
Das ist Kunst?
Ich sehe von meiner persönlichen Meinung ab.
Also:
Vielleicht, weil sie so teuflisch ist. Vielleicht.
Reicht das aus? Perversität über und über? Ich bin mir ziemlich sicher: Nein. Persönlich: Nein. Allgemein: Nein.
Sie trägt aber ein enormes Maß dazu bei, um ein angesehenes Werk darzustellen. Immerhin erkennt der Mensch an, wenn er erschüttert und zutiefst schockiert wird. Perversität ist ohne Zweifel ein Mittel dafür. Es bedeutet, dass man persönlich berührt wurde.
Somit ist die Pointe „wenigstens“ schockierend. Verstörend. Ein Mann, der ein inzestuöses Verhältnis zu seiner Schwester hat, und dessen heikle Liebe durch Gedankenlosigkeit zerstört wird, rächt sich, indem er den Täter – letztendlich - ebenfalls in ein aussichtsloses Inzestverhältnis verwickelt.
Ist das denn perfekt inszeniert? Meiner Meinung nach nicht. Mir ist klar, dass man sich vom amerikanischen Film lösen muss. Die Hypnose, die „merkwürdigen“ Verstrickungen, die gesamte Taktik, die hinter dem Plan steckt, ist losgelöster - und poetischer - als der normale Film. Das muss man akzeptieren können. Es geht MIR nicht darum, dass ich mich an dem Plan, der Ausführung in der vorhandenen Form, störe. Im Film ist es möglich, Liebe durch Hypnose hervorzurufen, Impulse und Signale anzutrainieren. Gut, akzeptables Mittel zum Zweck. Aber nur das. Unabhängig davon kann man es besser machen. Ich sah nämlich einen Film, nach dessen erster Hälfte ich mich (mehr als) fragte: „Was zum Teufel soll daran besonders sein?“
Und ich schaute ihn mir nicht als Kunstbanause an, der gedankenlos auf Unterhaltung aus ist. Der Film war bis zum Finale langatmig und nicht überaus intelligent. Der Soundtrack war toll, ohne Frage, die Bilder hatten Ästhetik – besonders die Kampfszenen - aber das ändert nichts an der laschen Entwicklung, die der Film bis zum Finale nimmt. Wäre das Ende nicht so, wie es ist, wäre der Film in keiner Weise erwähnenswert. Das, denke ich, steht fest.
- Also lebt er von der Pointe.
Nach zwei stunden Film ist mir eine Pointe, die auf reine Perversität setzt - nicht auf clevere Inszenierung, das diese nur Mittel zum Zweck war, und nicht an sich clever, ist oben schon erwähnt - aber zu wenig.
Der letzte Punkt – und das zweite, was mir übel aufgestoßen ist – beinhaltet die schon erwähnte Theatralik. Sie ist nicht zu übersehen, vor allem nicht in den letzten zehn Minuten. Oh Dea-Su hechelt. Oh Dea-Su wackelt mit dem Hintern. Er fängt an, verrückt zu bellen. Er leckt die Füße des arrogant lachenden Widersachers. Er nimmt eine Schere und schneidet sich die Zunge ab.
Sinnbildlich ist klar, was gemeint ist. Oh Dea-Su wird, respektlos, in den Wahnsinn getrieben; Oh Dea-Su wurde zu einem Wesen ohne Stolz und Ehre degradiert. Und Oh Dea-Su wurde gezwungen, sich selber zu kastrieren, sinnbildlich. Die Perversität dahinter ist schockierend, die Darstellung noch mehr - Das erwähnte ich schon zu Beginn. Die Szene – sowohl das Bellen als auch das Abschneiden der Zunge – ist mir ZU viel. Ja, das asiatische Kino liebt das Extreme, und das muss man wissen, aber:
Nicht jede extreme Darstellung ist dadurch allein gerechtfertigt.
Ich fand es so übertrieben, dass es schon wieder oberflächlich und bagatellisierend wirkte. Das Sinnbildliche war tiefergehender als die filmische Umsetzung, die auf Gewalt und Gewalt und Gewalt, bis hin zur überdramatisierten Splatterszene, setzte.
Oldboy wollte schocken, das tat er. Er war aber langatmig und setzte seinen Inhalt auf die kranke Faszination am menschlichen Schmerz. Das gefällt mir nicht, und zusätzlich genügt das auch nicht. Die überraschend verdrehte Peripetie sorgte nur dafür, dass er statt "vollkommen bedeutungslos" krank ist. Meine Meinung. Dadurch nicht schlecht, aber auch nicht genial.
Außerdem störe ich mich schrecklich an den Zitaten. Es tut weh, zu sehen, wie eine tiefsinnige Bedeutung oder ein philosophischer Ansatz provisorisch eingehämmert wird. Ich konnte NICHTS mit ihnen anfangen. Vielleicht, weil sich Inhalt und Zitat nicht ergänzen, nicht wirklich. Natürlich sehe ich die Verbindung, aber keinesfalls die Tiefe. NICHT im Film. Auf einer Säule wurde etwas präsentiert, wieder und wieder, dessen ihm inneliegender Tiefsinn nur als plakativer Nutzzweck herhalten musste.
Und jetzt noch etwas Provozierendes: Für mich steckt hinter einer menschlichen Faszination an Oldboy a) eigene Perversität und b) Oberflächlichkeit, weil man ersterem Vorrang gewährt. Damit will ich niemanden persönlich angreifen, Gott behüte, aber inhaltlich finde ich genau das. Der Film hat mit Faszination am Schmerz zu tun. "Erschütternd" und "schockierend" und "verstörend" sind tolle Worte, die viel zu leichtfertig angewendet werden können. Und zwar für etwas, dass letztendlich ziemlich simpel ist - meiner Meinung nach. Nicht einmal genial krank, nur verstörend, und das nicht den ganzen Film über.
Erwähnenswert wäre natürlich, dass Oldboy auf einem Manga basiert. Mehr als erwähnenswert – für mich - aber nicht. Sicherlich mag man ihn als Manga mit ganz anderen Kriterien betrachten. Die Maßstäbe müssten anders gesetzt werden. Eine „literarische“ Vorgabe ist für mich aber keine „Rechtfertigung“ (egal in welcher Weise), für umgesetzte filmische Szenen. Niemand ist dazu gezwungen, etwas zu verfilmen, und WENN man es tut, soll es auch eigenständig betrachtet werden. Somit hat es als Nichtkenner des Mangas keine Auswirkungen.