Der Turm - Eine philosophische Betrachtung

Die Saga von Roland und dem Dunklen Turm. Bestehend aus Schwarz, Drei, Tot, Glas, Wolfsmond, Susannah, Der Turm und Wind

Moderator: Roland of Gilead

Der Turm - Eine philosophische Betrachtung

Beitragvon Rotaermel » Mi 18.Apr.2012 00:30

Hallo liebe Turmgemeinde,
es ist lange her, dass ich in diesem Forum das letzte Mal etwas gepostet habe und noch länger her, dass ich mich überhaupt registriert habe – das muss um das Jahr 2001 herum gewesen sein, allerdings unter anderem Namen.
Seit dem ist viel Zeit vergangen und die Turm-Reihe ist endlich beendet. Die Lektüre von DT und von Kings Werken hat mich durch meine Jugend und Schulzeit begleitet und insbesondere der Turm hat mich – wie so viele von euch auch – nie wieder losgelassen.
Meine Interessen (oder war es vielleicht Ka? ^^) haben mich zu einem Philosophiestudium geführt, das ich jetzt (neben BWL) im zweiten Semester betreibe. Viele von euch sind wahre Turmexperten und haben sich sehr oft den Kopf darüber zerbrochen, wie man das Gesamtwerk deuten könnte und was das monumentale Werk uns alles an Ideen und Aussagen liefert. Trotzdem denke ich, dass es interessant sein könnte, Kings Turm mal durch die Augen eines Philosophen zu betrachten. Ich beanspruche dabei keine Vollständigkeit und werde auch keinesfalls viele Fachbegriffe etc. benutzen. Auch will ich vorausschicken, dass ich nicht glaube, dass King bewusst philosophische Themen verarbeitet hätte – das ist nicht der Fall. Allerdings erscheinen die Ideen und Symboliken des Turms in neuem Licht, wenn man in Philosophie etwas bewandert ist.
Dieser Post ist schon jetzt etwas länger und meine Idee, den Turm von philosophischer Warte aus zu analysieren ist hiermit noch nicht beendet. Es kann gut sein, dass noch etwas dazukommt.
:D


Der Turm als „endgültiges Ziel“, das Ka und Determinismus
Rolands Reise kennt nur ein Ziel: Den Turm. Ihn zu erreichen ist die einzige Motivation Rolands und nur jene Dinge, die ihn dem Turm näher bringen, sind ihm wichtig. Selbst global gesehen äußert wichtige Unternehmungen wie die Rettung der Balken rücken nur deswegen in sein Interesse, weil sie dem Turm dienen. Somit ähnelt Roland mehr einer Maschine als einem Menschen – in seiner Konsequenz ähnelt er einem Roboter, einem Terminator, der sich durch nichts von seinem Ziel abbringen lässt und dessen Horizont kein Aufgeben kennt.
Das treibende Moment der ganzen Geschichte ist also das unsichtbare Band, das Roland zum Turm hinzieht und von dem er sich zu keinem Zeitpunkt loslösen kann. Dies bestreitet er nicht, sondern er akzeptiert es, was nicht verwunderlich ist, da sein Weltbild stark von der Idee des „Ka“ geprägt ist: Es gibt ein Schicksal und ihm kann man nicht entrinnen – jeder Versuch wäre töricht und würde bestraft werden. Damit verkörpert Roland eine Haltung, die man in der Philosophie und Ethik Determinismus nennt. Der Determinismus geht davon aus, dass es keinen freien Willen gibt, dass somit das Gefühl der Willensfreiheit reine Illusion ist und dass letztendlich jeder Mensch einen vorherbestimmten Pfad entlang geht, dessen Endpunkt unverrückbar ist. Rolands Weg und der Turm am Ende passen perfekt zu diesem Modell. Auch der in der Ethik anerkannte Schluss, dass mit dem Akzeptieren Determinismus jegliche Moral überflüssig wird, da ohne die Annahme der Entscheidungsfreiheit keine Handlungen mehr nach ihrer moralischen Qualität beurteilt werden können, findet sich in der Geschichte wieder. Roland ist ein Gefangener und Getriebener, der letztendlich zu einer ewigen Suche verdammt ist – das Gebundensein an den Pfad, der zum Turm führt, macht es ihm unmöglich, wirklich frei zu entscheiden, da jede seiner Entscheidungen dem Erreichen des Turmes dienen muss. Diese Unausweichlichkeit des Ablaufes (die King am Ende zumindest ein wenig durchbricht, in dem er Roland das Horn zur Seite gibt) spiegelt perfekt das wieder, was man als Fatalismus bezeichnet: Die Machtlosigkeit gegenüber einem unausweichlichen Schicksal – Ka. Rolands kategorische Weigerung, sich diesem zu entziehen, bzw. es zumindest zu versuchen, macht in ihm jene unmoralische Komponente aus, die ihn zu Handlungen wie der Opferung Jakes angetrieben hat


Das „oberste Zimmer“ des Turms – Suche nach Gott und Wahrheit
In einigen Passagen fragt sich der recht phantasielose Roland, was ihn denn im obersten Zimmer des Turmes erwarten möge. Etwa Gott?
Damit steht das oberste Zimmer des Turms symbolisch für viele zentrale Fragen der Philosophie: Gibt es einen Gott? Gibt es etwas, das „über allem“ steht? Können wir es uns vorstellen?
Im Bezug auf Gott kann man Kings Ende der Saga dahingehend deuten, dass Gott nicht im Turm wohnt: Zwar ist dieser der Nexus aller Welten und sein oberstes Zimmer wäre somit prädestiniert um eine metaphysische, weltenschaffende Entität zu beherbergen, doch dem ist nicht so. In Kings Turm ist es die Schöpferkraft Gan, die am ehesten eine Gott-Rolle zugesprochen kommt und Gan steht jenseits vom Turm, da es alles Seiende durchdringt. (Was nicht verwunderlich ist, schließlich ist King Schriftsteller und somit für sein Werk tatsächlich der Schöpfer.) Sehr amüsant und geradezu sarkastisch ist, dass es offenbar nicht die Funktion des Turmes ist, irgendetwas zu beherbergen, das für jeden Besucher gleich wäre: Der Turm, den Roland auffindet, ist sein ganz persönlicher Turm, dessen Zimmer, inklusive des obersten Zimmers, durch sein Leben und Handeln geprägt sind. Die Suche nach Gott ist also eine persönliche und den einen Gott in einer Gestalt gibt es nicht – erst recht unmöglich ist es, ihm persönlich zu begegnen, wie Roland es sich vorstellt. Diese Sichtweise kann man in eine andere Richtung weiterführen, wenn man das Erreichen des obersten Zimmers nicht mit einer Begegnung mit Gott gleichsetzt, sondern mit dem Erlangen der letzten Erkenntnis, welche innerhalb der Wissenschaft und Philosophie auf gleiche Weise das letzte Ziel darstellt, wie für einen Gläubigen eine reine Erfahrung Gottes, bzw. das Erlangen einer göttlichen Erlösung.
Wer schon einige Zeit damit zugebracht hat, Erkenntnis zu gewinnen – und das ist es, was Wissenschaftler und Philosophen von sich zu tun behaupten – hat die Erfahrung gemacht, dass dies eine gewisse Frustration mit sich bringen kann. Je mehr man weiß, desto mehr wird einem gewahr, was man alles nicht weiß und je hartnäckiger man eine „letzte Wahrheit“ finden will, desto deutlicher wird es, dass es eine solche niemals geben kann.
Kennt man diese Frustgefühle, ist Kings Ende der Turmsaga herrlich bitterer Sarkasmus: Rolands Suche und deren Ende ist eine äußerst passende Analogie für das immerwährende Streben einiger Menschen, ihr „letztes Ziel“ zu erreichen. Sie gehen einen äußerst beschwerlichen Weg, überwinden Hindernis um Hindernis, nur am Ende ihrer Reise zu erkennen, dass sie von vorne beginnen müssen. Alles scheint vergebens, aber mit der Neuschaffung einer neuen Theorie gerät die vorherige in Vergessenheit. Und trotz der wiederkehrenden Niederlagen lockt in weiter Ferne das letzte Ziel der endgültigen Erkenntnis…
Die Philosophie ist voll von solchen „Reisen zum Turm“. Ein prominentes Beispiel stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert, in dem sich einige kluge Köpfe, namentlich Bertrand Russell, Gottlob Frege und andere, kein geringeres Ziel setzten, als die Gültigkeit der Mathematik mittels formaler Logik zu beweisen. Für sie war die gültigkeit der Mathematik das, was die Balken für Rolands' Welt sind - Stabilität und Sicherstellung einer von "Schwachstellen" freien Realität. Sie investierten ihr Leben in diese Aufgabe und sahen sich mehr als einmal gezwungen, von vorne zu beginnen, weil sich immer wieder Fehler ("Schwachstellen") auftaten. Als Frege in den frühen 30er-Jahren glaubte, endlich das „oberste Zimmer der Mathematik“ erklommen zu haben und sein über tausend Seiten starkes Werk in den Druck geben wollte, kam ein Logiker namens Kurt Gödel daher und bewies mit seinem in Fachkreisen berühmten Unvollständigkeitssatz, dass das Vorhaben von Frege, Russel und anderen Gleichgesinnten bereits im Ansatz unmöglich und undurchführbar war. Somit wurden die nach Wahrheit Strebenden unerbittlich zurück in die Wüste geschubst… Die Logiker und Philosophen der heutigen Zeit haben sich natürlich nicht entmutigen lassen - das Horn, was jetzt an ihrem Gürtel baumelt ist die logische Strenge der analystischen Philosophie, die der Generation von Frege und Russell zu verdanken ist.
Rotaermel
 

Re: Der Turm - Eine philosophische Betrachtung

Beitragvon Adeptusmagus » Sa 23.Jun.2012 18:40

Sehr gut geschrieben!
Adeptusmagus
 

Re: Der Turm - Eine philosophische Betrachtung

Beitragvon Lex o'Dim » So 24.Jun.2012 13:49

Ich bin noch in der Schule und habe Philosophie. Das könnte man guten Gewissens in einer Abiturprüfung schreiben!
Lex o'Dim
 

Re: Der Turm - Eine philosophische Betrachtung

Beitragvon Rotaermel » Do 05.Jul.2012 12:52

Blaine und das Lügnerparadoxon (oder welche Frage ich Blaine gerne gestellt hätte)

Eine der besten Stellen der Turmsaga war für mich der Rätselwettstreit mit Blaine. Das Ende kam unerwartet und man fühlte sich „auf die Folter gespannt“. Im Nachhinein wirkte es aber vorhersehbar: Blaines Scheitern lag nicht in mangelnder Intelligenz begründet, sondern in den „Vertragsbedingungen“, auf die er sich eingelassen hat. Blaine muss Rolands Ka-Tet freilassen, wenn er eine Frage nicht beantworten kann. Damit ist nur festgelegt, dass ein Rätsel ein Satz in Frageform sein muss (oder beinhalten muss), dessen Lösung eine klar definierte Sache ist, d.h. ein Gegenstand oder ein kausaler Bezug. (Siehe Eddies Trickfrage.) Über die „Sinnhaftigkeit“ der Frage und deren Lösung, bzw. über die logische Verknüpfung von Frage und Lösung wurde nichts vereinbart und genau das wurde Blaine zum Verhängnis.

Eddies Lösung in Form einer dadaistischen Frage war amüsant, doch ich denke, es hätte noch ein besseres unknackbares Rätsel gegeben – eines, das dem alten Griechen Epimenides zugeschrieben wird.
Hier ist die Frage, die ich persönlich Blaine gerne gestellt hätte:

Wenn ein Lügner sagt „Ich lüge jetzt.“, lügt er dann, oder sagt er die Wahrheit?

Von der Form scheint es eine einfache Frage zu sein, eine simple „entweder-oder-Frage“. Wer sich diese Frage durch den Kopf gehen lässt, wird jedoch schnell merken, dass es sich um ein Paradoxon handelt, für das es keine Antwort gibt. Genauer gesagt ist es so, dass die zwei Antworten in Reichweite zu liegen scheinen, sich aber gegenseitig ausschließen: Der Lügner muss lügen, bei allem was er auch sagt, denn das ist die Definition eines Lügners. Somit muss jede Aussage, die er macht, falsch sein. Damit wird aber der Satz „Ich lüge jetzt.“ ins Gegenteil verkehrt – was nichts anderes bedeutet, dass der Lügner in diesem speziellen Fall die Wahrheit sagt. Wenn die Aussage „Ich lüge jetzt.“ aber wahr ist, verkehrt sich der Wahrheitswert wiederum ins Gegenteil – und so weiter.
Offensichtlich liegt ein Zirkelschluss vor der kein Ende kennt. Wenn wir den Gedankengang immer weiter verfolgen drehen wir uns im Kreis, wie Oy, der seinem Schwan z hinterherjagt. Das hätte Blaines Logikschaltkreise mit Sicherheit zum Qualmen gebracht. Wenn nicht – wenn Blaine z.B. eine Mechanismus hätte, der solche Paradoxa erkennt und isoliert – wäre er trotzdem verpflichtet gewesen, eine Antwort zu geben, was aber bei dieser Frage unmöglich ist, wie gezeigt wurde.

So, wie Blaine nach neuen Rätseln sucht, suche ich nach diesen Paradoxa. Zunächst erscheinen sie wie eine Spielerei, aber in der Logik und Mathematik haben sie eine wichtige Bedeutung. Tatsächlich gibt es das eben aufgeführte Paradoxon in anderer Form unter dem Namen der „Russelschen Antinomie“ – der berühmte Russell, den ich im ersten Post erwähnt habe. Warum die Russelsche Antinomie so populär ist und woher ihre große Wichtigkeit für die Logik und Mathematik rührt, wäre aber zu viel Erklärungsaufwand. Amüsant zu lesen ist sie auch ohne das Hintergrundwissen:

In einer Stadt gibt es einen Barbier, der alle Männer rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Er ist der einzige Barbier in der Stadt. Wer rasiert nun den Barbier?

Auch hier gibt es wie bei der Lügnerfrage keine Lösung: Entschließt sich der Barbier, die Rasur selbst vorzunehmen, darf er sich nicht rasieren, denn er darf nur die rasieren, die es nicht selbst tun.
Gehört er aber nun zu dieser letzteren Gruppe, müsste er sich eben gerade rasieren! Womit man wieder am Anfang des Zirkelschlusses steht.
Ich denke, mit diesem Rätsel hätte man beim Rätselwettstreit von Gilead sein Leben riskiert. :)
Rotaermel
 


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