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In einer kleinen Stadt
Matias schrieb:Als Gegenbeispiel würde ich Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" nennen. Dort reicht ein bloßes Angebot der Titelgebenden alten Dame: 1 Milliarde Mark für eine Kleinstadt, wenn einer ihrer Einwohner ermordet wird. Das war's.

In der Tat Dürrenmatts Stück ist ein Gegenbeispiel zu Kings Roman. Allerdings sehe ich das nicht so einfach. Kings Gaunt hat eine ganz andere Motivation als Claire. Claire will sich an einer einzelnen Person rächen und bereitet ihre Tat akribisch vor. Sie sorgt letztendlich schon vor ihrer Ankunft dafür, dass die Bewohner von Güllen ihr hörig sind. Der 'Fall' der Bewohner ist für mich ein anderer als der von Castle Rock. In Castle Rock herrscht nach außen ein scheinbarer Zusammenhalt. Eine Freundlichkeit unter den Bewohnern. Erst durch Gaunts Streiche werden die Konflikte offensichtlich. Bei Dürrenmatt richten sich die Feindseligkeiten nur gegen eine Person. Und vor allem finde ich die Entwicklung der Einwohner Güllens nicht wirklich nachvollziehbar, aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Zu deinen anderen Punkten vorher.

Die Nachvollziehbarkeit von Gaunt ist sicherlich einer der beiden Hauptpunkte an denen das Werk entweder scheitert oder gewinnt. Der andere Punkt ist das Verhalten der Bewohner von Castle Rock. Es gehört sicherlich eine Portion von Akzeptanz des übernatürlichen dazu, damit der erste Punkt funktioniert. Wenn ich hinterfrage, warum ein Seelenfänger - mitunter wird Gaunt auch mit dem Teufel beschrieben - in Castle Rock Einzug hält und warum dieser erst die Scharade abziehen muss, dann wird alles Folgende sicherlich schwierig. Allerdings ist Gaunt nicht der einzige Widersacher in Kings Werken, der sich am Chaos labt. Da ist ein gewisser Randall Flagg und wo wir schon so nah am Dunkler-Turm-Zyklus sind, welchen Nutzen hat eigentlich der Scharlachrote König, wenn der Turm fällt?

Für mich persönlich ist Gaunt stimmig. Letztlich ist er in den meisten Fällen nichtmal der Übeltäter. Hätten die Bewohner von Castle Rock ein wirklich gutes Verhältnis untereinander, wäre die Lage nie eskaliert. Niemand hätte mit den Streichen angefangen, nur um einen ach so toll aussehenden Gegenstand in den Händen zu halten. Und hier kommen wir zu dem zweiten Hauptpunkt. Es ist für mich die Faszination, die Entwicklung nachzuverfolgen. Wie letztlich ein harmloser Jungenstreich der Auslöser ist, dass eine ganze Stadt fast dem Erdboden gleichgemacht wird.

Das unterscheidet King auch in meinen Augen extrem von Dürrenmatt, wenn man das Beispiel nochmal heranziehen will. Bei Dürrenmatt wissen alle Bewohner was passieren muss und hoffen, dass es passieren wird. In Castle Rock wird das erst zum Ende hin allen wirklich klar. Vielleicht bleiben sogar Einige komplett im Dunkeln. Claire und Gaunt dürften sich beide an dem Chaos erfreuen. Aber letztendlich geht es Claire nur um eine Person, der Rest ist ihr - im positiven wie negativen Sinne - egal. Gaunt will eine ganze Stadt vernichten.

Zu den anderen, die unerklärlich vorkommenden, Dingen: Sie sind nur Mittel zum Zweck. Nochmal: Wir bewegen uns hier in einer Welt der phantastischen Literatur. Voll von Dämonen, Geistern und Figuren, die aus der Welt von Cthulhu entstiegen sind. In der Verfilmung werden Gaunts Fähigkeiten ganz passabel präsentiert und dort ist er in meinen Augen noch extremer der scheinbar Allmächtige. Gerade der Punkt gefällt mir ebenfalls gut. Im Laufe der Handlung merken wir - das heißt, King versucht sein Mögliches, dass wir es merken - dass Gaunt scheinbar allmächtig und unbesiegbar ist. Ähnlich wie Pennywise, ähnlich wie die Aliens in 'Dreamcatcher' und so viele andere Bösewichte. Aber das eigentlich faszinierende ist, dass diese Antagonisten besiegt werden können. Mal sind es Kinder, die übersinnliches nicht leugnen, sondern bekämpfen. Manchmal dauert es, bis der Sheriff wirklich begreift, mit was er es da zu tun hat (dabei hat gerade Alan Pangborn ja schon einmal mitbekommen, was um Castle Rock alles rumfleucht und vor allem -fliegt)

Das erstmal aus meiner Sicht. Ich kann dich verstehen. Ich habe so einige Rezensionen zum Roman gelesen, die ihn für langatmig, unausgeglichen und zu wirr empfinden. Ja, kann man so sehen. Das ist ja das tolle an Literatur. Es gibt so verdammt viel davon, dass nicht Jeder alles mögen muss :mrgreen:
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