Neubearbeitung enthält viele neue Fehler und wurde inhaltlich verstümmelt - schade.
Das Buch habe ich sowohl in der zweiten Auflage der deutschen Ausgabe von 1990 als auch in der fünften Auflage der 2011 erschienenen sogenannten neubearbeiteten, erstmals vollständigen Taschenbuchausgabe jeweils mehrfach gelesen. Natürlich hätte ich dies nicht getan, wenn ich das Werk nicht grundsätzlich für brillant und für eine echte Lebensbereicherung halten würde. Freilich kann man immer auch anderer Meinung sein, da die Erwartungen eines Lesers an ein Buch und die Geschmäcker immer grundverschieden sind. Auch ich hatte gerade mit dem Schluss des Buches (ein nach meinem Geschmack etwas zu angestrengt ausgedachtes, exzessives Gemetzel, nur um dem lange aufgebauten Spannungsbogen ein adäquat monumental inszeniertes Finale zu verpassen) gelegentlich meine Probleme, sowie auch mit einigen stark grenzwertigen, sexuell inspirierten Szenen. Dies alles sind jedoch subjektive Geschmacksfragen, und damit nicht das, was ich ausschließlich an der sog. NEUBEARBEITUNG kritisieren möchte (Das Buch an sich hätte von mir jedenfalls uneingeschränkt fünf Sterne erhalten und zählt nach wie vor zu meinen absoluten Favoriten).
Meine Kritikpunkte an der Neubearbeitung:
- Die Neubearbeitung ist nicht wirklich viel länger, es fehlen auch in der "alten" Version keinerlei relevante Passagen, geschweige denn (wie man ansonsten vermuten könnte) gar ganze Kapitel.
- Die Neuübersetzung scheint mir in vielen Szenen entschärft und uninteressanter formuliert zu sein.
- Einige Details wurden in der Neuübersetzung inhaltlich (und zwar unvorteilhaft) verändert, was ganzen Textpassagen viel von ihrer eigentlichen Aussagekraft und Wirkung nimmt.
- Es sind etliche orthografische und syntaktische Fehler enthalten, die in (identischen!) Textpassagen des "alten" Buches nicht enthalten waren.
Zum ersten Kritikpunkt: Meine alte Version endet auf Seite 1214. Die neue auf Seite 1534. Was zunächst nach einem erheblich längeren Text aussieht, entpuppt sich als Mogelpackung, da bei der Neubearbeitung ganz einfach ein wesentlich größerer Schriftgrad abgedruckt wurde. Schon nach den ersten Textseiten zeigt sich der Effekt: Während das erste Unterkapitel von Teil eins in der alten Version genau nach drei Seiten endet, ist dies bei der Neubearbeitung erst nach zwei Dritteln der vierten Seite der Fall. Wohlgemerkt: Der Text ist bis auf wenige abgeänderte einzelne Wörter identisch!
Allgemein muss ich zu den angeblichen "Vervollständigungen" des gesamten Buches leider auch anmerken, dass ich wirklich beim Lesen nichts Neues entdeckt habe. Bis auf wenige (nach meinem Empfinden unnötige) Ausschmückungen (dies auch in den eher ruhigen und langweiligeren Passagen) konnte ich wirklich absolut keine Neuerungen erkennen. Wer die alte Version in- und auswendig kennt, wird in der Neubearbeitung tatsächlich NICHTS inhaltlich Neues finden.
Zum zweiten Kritikpunkt: Meine subjektive Ansicht, daher keine weiteren Anmerkungen.
Zum dritten Kritikpunkt: Ich finde, dass durch Inhaltsveränderungen die Aussagekraft ganzer Passagen verändert wird und Wirkung verloren geht. Hierzu muss ich ein Beispiel zitieren.
(Hintergrund ist folgender: Die Aufzeichnungen von Michael Hanlon, die im Keller der Stadtbücherei von Derry aufgefunden worden waren.)
Alte Version (Derry - Das erste Zwischenspiel, Seite 154):
"Kann eine ganze Stadt heimgesucht werden? (...)
Kann das sein?
Hören Sie:
Heimgesucht: "Häufig von Geistern oder Gespenstern besucht." Funk und Wagnalls.
Heimsuchung: "Immer wieder ins Gedächtnis zurückkehrend, schwer zu vergessen." Dito, Funk und Freund.
Heimsuchen: Häufig wiederkehren oder erscheinen, speziell als Geist. Aber - und hören Sie zu! - "Ein häufig heimgesuchter Ort: Sammelpunkt, Erscheinungsort..." Hervorhebung selbstverständlich von mir.
Und noch einer. Diese letzte Definition von Heimsuchen als Substantiv, und gleichzeitig die, die mir echt angst macht: "Ein Futterplatz für Tiere." --- Zitat Ende
Neue Version (Derry: Das erste Zwischenspiel, Seite 201):
"Kann eine ganze Stadt heimgesucht werden? (...)
Kann das sein?
Hören Sie:
Heimsuchung: schweres, großes Unglück; Besuch, meistens lästiger oder unangenehmer Art; Plage
heimsuchen: in freundlicher oder feindlicher Absicht jemanden aufsuchen; überfallen; treffen, schlagen (Leiden, Unglück);
Beispiele zum Gebrauch: von einer Seuche heimgesucht werden; von einer Heuschreckenplage heimgesucht werden; von Geistern heimgesucht werden. --- Zitat Ende
Ich finde es sehr schade, dass die tolle alte Version - und insbesondere die letzte Definition der "Heimsuchung" als "Futterplatz für Tiere" - ersetzt wurde durch den neuen Text. Ich hatte den alten Text für wesentlich treffender, gänsehautauslösender und auch authentischer wirkend empfunden (echte Zitate aus alten Lexika, die im ganzen Buch noch wirklich mit Quellenangaben und Verweisen versehen werden, teilw. natürlich auch fiktive Quellen, tauchen in der Neubearbeitung einfach gar nicht mehr auf. Außerdem: Die (nun fehlenden) ergänzenden Bemerkungen Michael Hanlon's lassen viel mehr Authentizität aufkommen.).
--- Freilich sollte Jeder für sich entscheiden, welche Version besser gefällt. Leider habe ich die englische Originalfassung nicht gelesen und kann daher keine Information liefern, welche Version dieser Textpassage näher an das Original und damit an die Intention des Autors heranreicht.
Zum vierten Kritikpunkt: Es sind viele Rechtschreibfehler - teilweise gravierende - in der Neubearbeitung enthalten, unverständlicherweise gerade in denjenigen Textpassagen, welche inhaltlich NICHT neu überarbeitet wurden.
Beispiele dafür gebe ich gerne, falls Jemand Interesse daran hat und beide Versionen, neu und alt, zum Vergleich besitzt. Ich habe mir beim Lesen etliche der Fehler mit Seiten- und Zeilenangaben notiert (freilich jeweils nach Vergleich mit meiner alten Ausgabe). In diesem Falle bitte ich um einen entsprechenden Kommentar, und ich werde Beispiele in einem Kommentar liefern.
Mein Verdacht, weshalb die Fehler im alten Text nicht, aber dann doch überraschend gerade in den NICHT NEUBEARBEITETEN Textpassagen auftauchen: Vielleicht wurden von der Neubearbeiterin Anja Heppelmann gleich jeweils die ganzen Kapitel neu abgetippt, und dabei hat sie so einige Flüchtigkeitsfehler begangen. Wie es dem Zeitgeist entspricht, wurde es dann nicht näher geprüft, bevor das Produkt auf den Markt geworfen wurde.
Mir schien, dass bislang Niemand die Mühe unternommen hat, Altausgabe und neue Bearbeitung ein wenig zu vergleichen. Daher hoffe ich, dass der Aufwand, den ich mir mit diesen Zeilen gemacht habe, ggf. Jemandem weiterhilft. Hoffentlich werden folgende Neuauflagen der neubearbeiteten Version auch wenigstens um die groben Fehler bereinigt sein.
Ich jedenfalls werde bis auf Weiteres lieber wieder meine alte und „unvollständige“ Version des Buches lesen.
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