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Bruch in der Buchreihe
#60
Walter Hodji, da ich mehrmals von dir zitiert wurde, möcht ich kurz antworten Confusedweet

Zitat:Ich finde diese Argumente nicht aussagekräftig. Nur weil King sich entschlossen hat, gewisse Aspekt seiner Geschichte nicht weiter zu vertiefen, weicht er doch nicht von seiner Linie ab.

Wenn King essentielles auslässt und etwas völlig neues zum Mittelpunkt seines Turm-Universum macht (bsp neunzehn), weicht er recht offensichtlich von seiner Linie ab. Jeder Schriftsteller schafft eigene Charaktere - und im Fantasy-Bereich sogar eigene Welten. Diese müssen stimmig sein. Das sind sie nicht mehr, wenn der übergeordnete Rahmen alterniert und andere Schwerpunkte gelegt werden als vorher.

Zitat: Nehmen wir alle Bücher des Dunklen-Turm-Zyklus zusammen, kommt dabei eine beeindruckend hohe Seitenzahl zustande. Bei der Größe dieser Seitenzahl ist es doch selbstverständlich, dass einige Dinge ganz einfach aus der Geschichte verschwinden oder nicht weiter behandelt werden können.

Du setzt vorraus, dass dafür alles andere beim alten bleiben würde. Ich persönlich bin zwar nicht der Meinung, dass alles hätte aufgelöst werden müssen - eine zu große Forderung an einen Autoren, der über dreißig Jahre hinweg einen Zyklus schrieb und ständig neue Ideen einbrachte, ohne zu wissen, wohin sie führen. Dann verläuft sich eben manches... das ist in Ordnung. In Rolands Welt verlief eh sehr viel, auch zwischen dem ersten und den zweiten Teil, oder dem dritten und dem Vierten. Es war aber immer etwas mystisches und poetisches dabei. Und man hatte das Gefühl, bei einer Schöpfungsgeschichte teilnehmen zu können. Schwarzer Mann, Walter, Marten... alles undefiniert, fremd, wirr. Aber passend. Trotzdem: Die gewünschte Ausführung zu den nur angerissenen Themen würde nicht zwangsläufig jedes Maß sprengen. Man hätte einfach anderes kurzfassen können. Man hätte den 19-Egotrip rausschmeißen können und 400 Seiten Platz gehabt. Man hätte Wolfsmond um die hälfte kürzen können, um wieder zu einem knackigen und direkten Schreibstil zu finden. Man hätte Peer Callahan (oder wie er hieß) einfach auslassen können - eine der Andeutungen, die meiner Meinung nach getrost NICHT hätte ausgeführt werden müssen. An freien Seitenzahlen hätte es dann nicht gemangelt.

Zitat:Ich kann nicht nachvollziehen, wieso Gio dies so gewaltig stört. Es ist doch natürlich, dass man ein Mensch eine Menge Sprichwörter kennt, diese aber nicht rund um die Uhr benutzt.

Natürlich ist es das. Das ist hierbei aber garnicht der Punkt Tongue
Es geht in Wirklichkeit um Authentizität. Es geht nicht darum, dass Roland ein Sprichwort aus seiner Welt sagt, sowas darf natürlich jeder. Es geht um die Intention dahinter, um die Konstruktion der Rahmenhandlung, den Geschichtsaufbau. Schreiben hat sehr viel mit Strukturierung zu tun, da du, wie du anmerktest, auch selber schreibst, weißt du wahrscheinlich, was ich meine. Ein Autor verwendet manchmal einen von sich gewählten Satz, um damit etwas auszudrücken und die Geschichte lebendig werden zu lassen. Z.B. sowas wie SSAT in Duddits. Oder "Love + Peace = Information" in Atlantis. Oder "Ich bin richtig Rosie | Und ich bin Rosie Richtig" in "Das Bild", oder "Füchse in Fuchsbauten, Ratten in Rattenlöchern" in Black House, oder "Piep-piep, Richie" in Es, oder "M-O-N-D, das Buchstabiert man..." in The Stand, oder "Könnt ihr Halleluja sagen" in Talisman, oder...
Gleiches findet sich auch in Rolands Geschichte, z.b. " Die Welt hat sich weitergedreht" und "Vogel und Bär und Fisch und Hase". Dies sind Stilelemente. Sie geben dem Leser halt, rufen Nostalgie in ihm hervor. Der Autor legt mit eben solchen den Baustein, damit eine Geschichte nicht nur eine oberflächliche Erinnerung bleibt, sondern sich tief im Leser verankert - weil diese Sätze zum Kern der Geschichte werden. Sie werden zum komprimierten Repräsentanten der gesamten Szenerie, und ein Autor darf nicht vergessen, oft genug darauf hinzuweisen, sie früh einzuführen und bei passender Gelegenheit zu benutzen. Würde man analytisch an das Schreiben eines Romans herangehen, kann man ganz viele, rein rational gesetzte Stilmittel entdecken. Die Kunst des Autors ist es, sich dieses nicht anmerken zu lassen. Sie dürfen nicht aufgesetzt sein, sondern passend, sich aus der Situation ergebend. Er darf niemals darüber nachdenken, wann er wie den Leser mit welchem Stilmittel an welcher Stelle des Buches fangen kann, sondern er muss innerlich fühlen, wann er mithilfe von Worten so etwas wie Stimmung und Atmosphäre treffend beschreibt. Dann erst taucht der Leser in eine Welt ein, statt sie nur von außen zu betrachten. Der Leser muss fühlen, das selbe hinter sich gehabt zu haben, was auch die Hauptpersonen hinter sich hatten. Das gelesen muss Teil der eigenen Erinnerung werden. Diese "Evergreens", die immer wieder im Laufe eines Buches erwähnt werden, evozieren dieses Gefühl ungemein. Sie gehören so sehr zur Geschichte, zur einer Situation, einer Atmosphäre, einem Gefühl oder einer Person dazu wie die falsche Aussprache eines Wortes deiner Tante; sie werden unterbewusst Teil deines Lebens.

Und um zu Wolfsmond zurückzukommen - dort wurde meiner Meinung nach alles falsch gemacht, was nur falsch gemacht werden konnte. Die Sprichwörter waren unverkennbar reines Stilmittel, und ich habe JEDES MAL gemerkt, wie mich in fast unverschämter Offensichtlichkeit der Autor damit pseudopoetisch fesseln wollte. Der kreisende Finger sollte zum Evergreen werden. Das "Wasser, so Gott will", und die "Uhr und Urkunde". Nix da. Dieses unsensible Schprichwort-Einkloppen auf den Leser will ich nicht. Denn es wird nicht eine Atmosphäre geschaffen, aus dem sich dies ergeben kann/ergibt. Es wird nichts sanft eingeführt und langsam Bestandteil der Welt. Das Sprichwort ist KEIN Resultat der Geschichte (und nach bis dahin 2000 Seiten kennt man diese). Hier stolpern illegitim von außen aufgesetzt irgendwelche neuen Nostalgieinstrumentalisierungen rein und sagen mir, dass ich jetzt eine Gänsehaut bekommen soll.

Sowas stört sehr, weil man in dem Moment nicht in der Geschichte steckt, sondern sich sogar über den Autor stellen und ihn belächeln kann. Es ist offensichtlich bemüht. Die Geschichte wird zu einem Wisch auf dem Papier, was man hier und da am liebsten redigieren will, damit es genießbar wird. Gleiches gilt bei der Neunzehn. Der Autor zeigt mir ständig, was er will, und ich sehe sogar, wie und womit er dies zu erreichen gedenkt, und werde gegen meinen Willen dazu getrieben, dies zu belächeln. Wenn ich aber die Augen verdrehe, sobald ich über Rolands Welt etwas lese, dann bin ich wohl kaum davon gerührt oder fühle mich hineingezogen - im gegenteil, ich werde desillusioniert, distanziere mich emotional und rational von der Geschichte und stempel sie als etwas mit purem Unterhaltungswert ab.

Zitat:Aus diesem Grund denke ich dass diese neuen Sprichwörter (und Gesten) nicht nachträglich hinzugefügt oder erfunden wurden.

Da King die Bücher in einem Abstand von 5 bis 10 Jahren herausbrachte, kann ich dir fast schon versichern, dass diese Sprichwörter nachträglich hinzugefügt oder erfunden wurden Tongue Vor Wolfsmond hatte der Herr keine Ahnung davon. Und wahrscheinlich kam ihm beim Spazierengehen der Gedanke, dass sich das ja ganz toll anhört, und er es neben der Neunzehn, und neben sich selbst, und neben sonstigen dazugedichteten Kleinigkeiten UNBEDINGT reinpressen muss. Koste es was es wolle. Notfalls auch den Tod der Geschichte :mrgreen:

Zitat:Ich weiß nicht was, dir an diesem Bild Schmerzen bereiten könnte. Schließlich weist die Calla große Parallelen zu Mejis auf. Und dort verbrachte er die glücklichste Zeit seines Lebens. Ich vermute mal er fühlt sich einfach wieder an seine Jugend und an seine Jugendliebe erinnert.

Und ich vermute mal, dass es einfach nur eine Romanfigur ist, die garnichts tun kann. Weder erinnern, noch denken, noch sonstwas. Sie tut nur das, was King will, dass sie tut. Und in schwarz wollte King noch, dass sie unnahbar ist, in Drei bis Glas beschreibt er ihre Entwicklung, und in Wofsmond will er eben, dass sie ein wandelnder Samariter ist, der nicht vor einem Bild von Jesus pissen kann.
Darf King ja auch wollen. Ist über die lange Zeit hinweg ja auch verständlich, wenn sich der Autor vor seiner Figur entfernt. Da er die letzten drei Bände auf einmal schrieb, kommt es mir so vor, als wenn er zwischen Roland in Band sieben und dem in Band fünf nicht unterscheiden konnte - und daher folgte nach dem alten Roland von Glas übergangslos der Roland von ganz am Ende der Serie. Shit happens. Nur nehm ich ihm dann dieses Männlein nicht mehr ab.

Zitat:Vielleicht hat er sie ja sogar gerochen (Gerüche steigen aus der Erinnerung zu den seltsamsten Augenblicken auf). Is doch klar dass Roland wie auf Wolken herumschwebt.

Wenn King schreibt, dass ers gerochen hat, hat er es wohl. Wenn nicht, dann nicht, denn soviel charakterliche Tiefe zur Interpretation hatte diese Person nicht mehr. Sie wurde ein Konstruktionsprodukt, denn King schrieb (im Gegensatz zu vorher) diesmal mit dem Wissen, worauf er hinauswill, und versuchte, sich alles zurechtzubiegen. Die Welt, die Personen, alles, irgendwie.
Und zurechtgebogene Personen sind nutzlos für Interpretationen Wink

Zitat: Hätte Roland anders reagiert und die Menschen der Calla einfach sich selbst überlassen, finde ich, wäre er gerade dadurch zu einem unglaubwürdigen Roland geworden.

Als jemand, der in Tull Frauen niederschießt, mit denen er vorher geschlafen hatte, und Kinder opfert, um schneller voranzukommen, ist es doch eher unglaubwürdig, wenn er plötzlich seine eigene Revolvermanntruppe (die er für den Turm dringend braucht) für ein fremdes Dorf aufs Spiel setzt, weil das ja die (eben mal herbeigedichteten) Regeln des Eld so diktieren. Und würden die Regeln des Eld nebenbei noch vorschreiben, er solle sich im Pfingstmond die Hose ausziehen und sich mit eigenem Kot beschmieren, würde er das wohl auch machen. Trotzdem fänd ichs dämlich. Erst recht, wenn er die drei Pfingstmonde zuvor nichts dergleichen tat, ich aber weiß, dass King diese Szene unbedingt zur weiteren Lancierung der Geschichte braucht.

Weil ich mich in allen sonstigen Punkten nicht wiederholen will, verweise ich einfach nur auf den Wolfsmond-Thread. Vielleicht verstehst du dann eher, was mir nicht gefiel Confusedweet
http://www.stephen-king.de/kingforum/vi ... &start=420
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