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"Horror-Pornos" - was meint ihr?
#67
Wegen der Länge wird sich wohl kaum jemand Gios Beitrag zu Gemüte geführt haben, dabei enthält er eine sehr interessante Diskussion, die nicht nur an der Oberfläche kratzt. Ich kopiere mal die wichtigsten Thesen. Anzumerken sei noch, daß es in der Diskussion unteranderem nicht um das Gefallen an "Gewaltpornographie" geht, sondern mehr um die Zuordnung - was also in diesen Topf geworfen werden darf und was nicht - mit dem Film Hostel als Beispiel.

Zur Faszination von Horrorfilmen
Rotwang schrieb:(...)als ich letztens mit einer freundin über "hostel" sprach, fiel uns auf, dass das einer der horrorfilme, die letztendlich noch gefehlt haben. wie viele andere filme vor ihm, aber bei weitem nicht in der konsequenz wie bei "hostel", präsentiert der film uns die begegnung mit inneren dämonen und schafft so eine selbstreflektion, die - nach der theorie der katharsis - erst recht dafür sorgt, dass wir unsere phantasien, die wir nun visuell ausgeführt präsentiert bekommen, nicht mehr selber ausleben und erfahren müssen. statt dessen erfahren wir, welch überaus animalisches und archaisches lebewesen wir sind, dass sich trotz aller errungenschaften der postmodernen gesellschaft eben nicht von diesen wurzeln loslösen kann.(...)
Rotwang schrieb:(...)Natürlich gibt es Menschen, die nur der Gewalt wegen diesen Film sehen werden, aber mal ganz davon abgesehen, dass der Prozentsatz wohl äußerst gering sein wird, ist das vollkommen legitim. Diese Leute erleben, wie der Film stellvertretend für sie einem natürlichen Trieb nachkommt, nämlich der Erhaltung des eigenen Genmaterials durch das Töten möglicher Konkurrenten.(...)

Zum Thema "was man nicht gesehen hat, kann man auch nicht beurteilen" (wurde auch als "Argument" in unserem Thread benutzt)
Gio schrieb:(...)Aber zurück zur Meinungsbildung ohne genaue Vorkenntnisse. Natürlich, ganz ohne Zweifel, folgen daraus Ignoranz und Einseitigkeit in der Sichtweise. In Maßen. Das ist aber hinzunehmen. Warum? Siehe das Beispiel mit der Pornographie. Du musst nicht jeden Porno sehen, um sagen zu dürfen, er wäre ohne Spannung und mit platten Dialogen. Du musst dir nicht jede RTL II Kinderkacke, die nachmittags läuft, anschauen, um behaupten zu können, das Fernsehprogramm nachmittags auf RTL II würde verdummen. Du musst nicht die neue Reality TV-Serie schauen. Du musst deine Freizeit auch nicht Heidi Klumps Model-Vermaktung widmen, um zu behaupten, es wäre kommerzieller Trash. Werbung reicht manchmal. Logisches Denken reicht. Ein gewisser Blick hinter das System reicht. Du kannst nur das beurteilen, was du kennst. Nicht das, was du nicht kennst. Du beurteilst, was dir präsentiert wird. Es geht nicht nur um die Gerechtigkeit dem Objekt gegenüber. WÜRDE es darum gehen, könntest du keine Meinung zu keinem Prominenten haben, zu keinem Star, nicht einmal zu Politikern(...)

Gewalt im Film
Gio schrieb:(...)Ist es neu? Nein, nicht völlig. Es stimmt, Gewalt war schon immer im Kino vorhanden. Ist schon seit sehr langer Zeit ein Stilmittel.
Und zwar, weil Gewalt jeden persönlich betrifft. Weil sie die Ängste der Menschen berührt. Daher ist niemand pervers, der sich einen Gruselfilm anschaut. Selbst, wenn dieser gewalttätige Szenen beinhaltet. Ein Gruselfilm erzählt eine Geschichte, und der Mensch kann sich mit den Protagonisten identifizieren. Er durchleidet die selbe Angst; er hat Interesse daran, sich zu fürchten. Jede Furcht löst eine Körperreaktion aus. Der Mensch fühlt etwas. Erlebt etwas. Eine Faszination daran ist verständlich.
Aber der Trend tendiert nun zu realitätsnahen und gewaltverherrlichenden Szenen. Sie beinhalten weniger Geschichte und mehr Details. Splatter gibt es zwar schon länger, sie haben aber immer noch – und glücklicher Weise - den Beigeschmack, nicht realitätsnah zu sein. Sie beinhalten „übertriebene“ Gewalt. Die Charaktere werden nicht ins Herz geschlossen, das Leid wird nicht nachvollziehbar. Es ist leicht verdaulich, überzogen, überzeichnet. Splatter können lustig sein, selten gehen sie nah. Wenn sie zu realistisch und ohne Ironie sind, wirken sie dämlich.(...)

Film und Gesellschaft
Gio schrieb:(...)Filme spiegeln die Gesellschaft wieder. Treffen den Zeitgeist. Können nur erfolgreich sein, wenn sie auch berühren oder Themen von Interesse beinhalten. Wenn man von Filmen NICHT auf die Gesellschaft schließt, hätte man ein Problem, vor allem mit der Beurteilung alter Werke. Siehe ebenfalls Filmgeschichte... Zeitkontext und Gesellschaft sind niemals unrelevant.(...)
Rotwang schrieb:(...)das Problem ist allerdings, dass in der Literatur häufig solche Romane großen Erfolg haben, die nicht mit der gesellschaftlichen Gegenwart kongruent sind und die eben gerade dadurch eine neue gesellschaftliche Strömung mitbegründen bzw. zur Reflektion der Gesellschaft über sich selbst anregen. Gerade diejenigen Autoren und Werke verbuchen häufig Erfolge, die der Gesellschaft eben nicht als gefällig erscheinen, sondern diese kontrovers thematisieren oder sich sonst wie gegen die voherrschende gegenwärtliche Befindlichkeit richten.. (...)
Rotwang schrieb:Was die Gesellschaft viel stärker abstumpfen lässt als dieses bisschen Fiktion ist die mediale Überschüttung mit realem Grauen. Viel erschreckender als solche Filme sollte doch wohl eher die Tatsache sein, dass Nachrichtensender aus jeder Katastrophe (Beispiel Bad Reichenhall) ein TV-Mega-Event mit kitschigem Pathospop zu Bildern zerstörter Häuser machen und wir das einfach bedenkenlos hinnehmen [...]. Wo bleibt da der Aufschrei und das Suchen nach einer Lösung? Es ist uns einfach unangenehm und zu schwierig. Stattdessen nehmen wir Filme, Musik und Computerspiele, die dann als moderne Sündenböcke herhalten müssen. Es ist niemals die Kunst die Gesellschaft verrohen lässt, es ist immer alleine nur die Gesellschaft selbst, die sich zu Grunde richtet...(...)

Wem das noch zu lang erscheint, der muß ein Aufmerksamkeitsdefizit haben. :mrgreen:
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